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Winterkinder: Drei Generationen Liebe und Krieg (German Edition)

Winterkinder: Drei Generationen Liebe und Krieg (German Edition)

Titel: Winterkinder: Drei Generationen Liebe und Krieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Owen Matthews
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noch vorsichtig, aber doch sehr viel freier, sich mit Mervyn einzulassen, als alle Russen, abgesehen von Wadim, es vorher gewesen waren.
    Mervyn hatte während seiner Zeit bei der Botschaft aus Prinzip in Stolowajas – billigen öffentlichen Kantinen – gegessen, wann immer es ihm möglich war. Nun, an der Universität, aß er jeden Tag in der Kantine bröckelige Fleischbällchen, dünne Suppe und wässrigen Kartoffelbrei. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich in Trolleybusse zu quetschen, vollgestopft mit dem dick gepolsterten narod , dem Volk, und dem Geruch nach Schweiß und Essiggurken. Er liebte es.
    Georges Nivat, ein junger Franzose, der mit Mervyn studierte und den er vom St Anthony’s und den Weltfestspielen kannte, teilte seine Leidenschaft dafür, in das sowjetische Leben einzutauchen. Georges wohnte in der Universität auf einem Stockwerk mit einigen vietnamesischen Graduierten. Der Geruch ihrer Küche, pfefferige Hühnerfüße und Kohlsuppen mit Knoblauch, waberte zu Georges’ Verzweiflung ständig durch die Flure. »Sie zerstören mein Leben!«, beschwerte er sich mit gallischer Verve, wenn er in Mervyns Zimmer Trost, Tee und Kekse suchte, und gestikulierte fatalistisch. »Die zerstören mein Leben!«
    Georges hatte die Faszination für russische Literatur nach Moskau geführt. Bald nach seiner Ankunft an der Universität besuchte er regelmäßig einen der großen literarischen Salons Moskaus, die Wohnung von Olga Wsewolodowna Iwinskaja in der Potapowski-Pereulok. I
    Mervyn auf einem Tagesausflug nach Kuskowo bei Moskau,
Frühjahr 1959.
    winskaja war seit 1946 Sekretärin und Mitarbeitern von Boris Pasternak. Außerdem war sie die Geliebte des heimgesuchten Dichters und die Inspiration für Lara, die Heldin von Doktor Schiwago . Sie hatte einen hohen Preis bezahlt für ihre Verbindung zu Pasternak. 1949 weigerte sie sich, ihren Liebhaber als britischen Spion zu denunzieren, und wurde zu fünf Jahren Arbeitslager verurteilt. Sie war damals schwanger von Pasternak, erlitt aber in der Haft eine Fehlgeburt. Nach Stalins Tod 1953 kehrte sie in die Potapowski-Pereulok zurück, und sie setzten ihre Liebesbeziehung fort. Doch ihr Leben lang litt Iwinskaja unter Pasternaks Weigerung, seine Frau und seine Kinder zu verlassen. Die beiden Familien führten ein seltsames Zusammenleben: Der Dichter aß mit Olga zu Mittag und verbrachte den Nachmittag mit ihr, ehe er sich höflich vor den Gästen seiner Geliebten verbeugte und zum Abendessen heim zu seiner Frau ging.
    Irina Iwinskaja war Olgas Tochter aus erster Ehe mit einem Wissenschaftler, der lieber Selbstmord beging, als sich im Zuge der Säuberungen 1938 verhaften zu lassen. Doch trotz der Tragödie, die auf dem Leben ihrer Mutter lastete, war Irina charmant und fröhlich, liebte die Literatur und das Ballett. Und Georges verliebte sich bis über beide Ohren in sie. Schon nach wenigen Monaten machte er ihr einen Heiratsantrag. Pasternak brachte auf einer überfüllten Teeparty in seiner Datscha in Peredelkino einen Trinkspruch auf das junge Paar aus. Mervyn war eingeladen, hinzugehen und den Schriftsteller kennenzulernen, doch er war zu schüchtern, wie er sagt. »Ich hätte Pasternak nichts zu sagen gehabt«, erzählte er mir.
    Ich habe oft über diese seltsame Weigerung nachgedacht, die so gar nicht zur damaligen Risikofreude meines Vaters passen will. Vielleicht lag es daran, dass er sich nur mit seinen Freunden und gesellschaftlich Gleichgestellten wohlfühlte und offizielle Funktionen nicht ertragen konnte – eine Abneigung, die sich bis heute nicht gelegt hat. Er blieb immer sehr für sich, eingesponnen in eine schützende Welt, die er um sich herum wob, um die Außenwelt fernzuhalten. Sein Arbeitszimmer in London, die nüchternen Akademikerwohnungen, in denen er wohnte, wenn er irgendwo als Gastprofessor lehrte – immer baute er sich kleine Männernester, in denen er sich in seine Papierstapel, seine Teekannen und seinen Bach flüchten konnte. Zu gesellschaftlichen Anlässen trug er meist ausgefranste Hemden, die er für zwei Pfund in einem Wohltätigkeitsladen erstanden hatte, und ausgebeulte Tweedjacketts. So saß er mit einem gezwungenen Lächeln in einer Ecke und wartete darauf, endlich gehen zu dürfen. In einem Anfall von Schüchternheit verließ er sogar mein Hochzeitsessen vorzeitig. Ich verabschiedete mich von ihm auf den Stufen des alten Hotel Splendid auf der Insel Buyukada bei Istanbul. Da stand er in seinem antiquierten Smoking

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