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Winterkinder: Drei Generationen Liebe und Krieg (German Edition)

Winterkinder: Drei Generationen Liebe und Krieg (German Edition)

Titel: Winterkinder: Drei Generationen Liebe und Krieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Owen Matthews
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Augen. Und zwinkerte mir zu.
    » Polesno i wkusno« , sagte sie lächelnd – »gesund und lecker«, ein Slogan aus einer Fernsehwerbung für Cornflakes – und hielt mir einen zusammengerollten Geldschein entgegen.
    Später fand ich sie auf Bogdans Türschwelle sitzend wieder, mit weit auseinandergestellten Beinen, die Hände lässig über den Knien und rauchend. Ich setzte mich neben sie. Sie warf mir einen Blick zu und sog an der Zigarette in ihrem Mundwinkel. Wir unterhielten uns.
    Jana war ein typisches Kind von Moskaus goldener Jugend – reich, klug, privilegiert und völlig verloren. Ihr Vater war ein ehemaliger sowjetischer Diplomat in der Schweiz; ihre Mutter entstammte einer alten Familie Sankt Petersburger Intellektueller. Halb Moskau war in sie verliebt, und je mehr sie sie zurückwies, desto mehr liebten sie sie. Sie hatte ein Gespür für Situationen, das ihr in den 20 Jahren ihres unsteten und unpünktlichen Lebens gute Dienste geleistet hatte. Die Leichtigkeit, mit der sie von einem Milieu ins andere wechselte, von einem Ort, Mann, Date zum anderen, war atemberaubend. Ihre Sprunghaftigkeit und Unbeständigkeit waren unwiderstehlich. Sie war wie eine Naturgewalt, temperamentvoll, kapriziös und oft so selbstsüchtig wie ein kleines Kind. Jana erinnerte mich immer an jemanden, der ständig eine Reihe wilder Karikaturen seiner selbst an der Welt ausprobiert und dabei immer wieder neue Varianten seiner sozialen Rolle annimmt. Und wie so viele einsame Menschen trug sie das brennende Verlangen in sich, geliebt zu werden und fantastisch zu sein, wollte aber nur aus der Ferne geliebt werden. Und das war das Paradoxe an ihr: Je fantastischer sie wurde, desto unmöglicher wurde es ihr, um ihrer selbst willen geliebt zu werden.
    Wir trafen uns immer im Tram, einem beliebten Lokal der Neureichen in der Nähe des Puschkinplatzes, mit Stahlrohrstühlen und mattschwarzen Tischen. Nach einem leichten, aber unfassbar teuren Abendessen schleppte sie mich dann auf verschiedene Partys. Eine fand in einem Set der Mos-Filmstudios statt, das für Die drei Musketiere aufgebaut worden war, ein Labyrinth aus Balkonen im Stil des 17. Jahrhunderts, Torbögen und Wendeltreppen, alles aus Sperrholz. Mädchen in Federjacken und Hotpants tanzten auf einer Pferdekutsche unter den Blicken durchtrainierter Männer in Boss-Jeans mit zurückgegeltem Haar. Eine andere Party war im Theater der Roten Armee, einem absurden sternförmigen stalinistischen Gebäude, umgeben von neoklassizistischen Säulen. Anstelle eines Balalaikaspektakels zum Tag des Sieges war der Ort in ein Schwarzlicht-Rave-Bacchanal verwandelt worden, bevölkert von langbeinigen Mädchen mit Stahl-BHs und kahl rasierten Männern in grünen Pelzmänteln. Ich sehe Jana vor mir, wie sie mit einer Panoramasonnenbrille, die sie sich von irgendjemandem geliehen hat, manisch am Rand der sich drehenden Bühne tanzt. Sie reißt die Faust hoch, als sie mit würdevollen fünf Stundenkilometern an mir vorbeifährt, und schreit »Dawai, dawai!«  – ein nicht übersetzbarer Ausdruck des Überschwangs.
    So schäbig Moskau auch war, so sehr liebte ich es für die Energie dieses Fegefeuers der Eitelkeiten. Ich war überzeugt, auf etwas Dunkles, Pulsierendes und absolut Faszinierendes gestoßen zu sein. Das Geld, die Sünde, die schönen Menschen – die Stadt war verdammt, apokalyptisch, von der flüchtigen Schönheit einer javanischen Feuerskulptur. Die strahlende Energie der hübschen, verblendeten Partykids, die ich an all diesen Orten traf, hätte dieses verdorbene Land ein Jahrhundert lang erleuchten können, wäre sie anders eingesetzt worden als zur Selbstzerstörung und Verwüstung.

    Jana und ich trafen uns etwa ein halbes Jahr lang regelmäßig. Ihre fantastische Präsenz verwandelte mich, wie ich dachte, in einen besseren und kühneren Menschen. Ich konnte es nie fassen, dass ich dieses außergewöhnliche Wesen an meiner Seite hatte. Das kann gar nicht wahr sein, sagte ich mir. Ich war nicht einmal eifersüchtig, wenn sie sich durch die Partys küsste und flirtete. Ich wartete geduldig mit den anderen in der Schlange, bis der Scheinwerfer ihres Charmes auf mich fiel, und das genügte mir. Jedes Mal, wenn sie all die reichen Jungs ignorierte und mit mir nach Hause ging, kam es mir wie ein kleines Wunder vor.
    In einigen wenigen seltenen Augenblicken warf sie die schwere Bürde ihrer Rolle ab und wurde kleinlaut und verletzlich, eine jüngere und weniger komplexe Version

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