Winterkinder: Drei Generationen Liebe und Krieg (German Edition)
Seine Mutter war nicht da, aber auf dem Diwan saßen zwei Männer mittleren Alters in Anzügen. »Meine beiden Freunde«, platzte Igor heraus, »interessieren sich für den braunen Anzug, den du verkaufen wolltest. Weißt du noch?«
»Ja, wir interessieren uns für alles, was Sie verkaufen wollen«, sagte einer der Männer steif.
Es folgte ein langes Schweigen. Mervyn drehte sich um und wollte gehen. Dies war offensichtlich ein amateurhafter Hinterhalt, und mit wachsender Panik begriff er, wer ihn organisiert haben musste und warum. Igor lächelte verzweifelt weiter. Der Mann, der gesprochen hatte, stand vom Sofa auf und zeigte einen roten Polizeiausweis. Mervyn, sagte er, sei verhaftet wegen des Verbrechens der Wirtschaftsspekulation.
Die Kommissare fuhren Igor und Mervyn schweigend zur nächsten Wache, der 60. Milizwache in der Maly-Mogilzewski-Pereulok, genau hinter dem Smolenskajaplatz. Nach kurzem Warten wurde Mervyn in das Büro des diensthabenden Ermittlers geführt, einem Hauptmann Mirsujew, der akribisch einen langen Bericht über den Vorfall verfasste, wobei er sich ausführlich über Mervyns Verbrechen als Verführer der sowjetischen Jugend und kapitalistischer Spekulant ausließ. Doch Mervyn weigerte sich zu unterschreiben und verlangte, dass ihn der Milizionär zu einem Telefon führte. Mervyn wusste sehr gut, wer hinter dem ganzen Vorfall steckte, und konnte sich zumindest ein bisschen überlegen fühlen angesichts der Tatsache, dass seine Verfolger von einem anderen Kaliber waren als ein kleiner Milizhauptmann.
»Ich muss den KGB anrufen«, sagte er zu Mirsujew, der ihn sofort zum Telefon an der Rezeption brachte.
Mervyn rief eine Nummer an, die Alexei ihm Jahre zuvor gegeben hatte und die immer noch in seinem Notizbuch stand. Eine unbekannte Frau ging ans Telefon und zeigte sich völlig unbeeindruckt von der Tatsache, dass Mervyn von einer Milizwache aus anrief. Sie notierte sich seine Daten und wies ihn an zu warten.
Eine halbe Stunde später kam Alexei in einem akkuraten Anzug in das Verhörzimmer, elegant wie immer. Sie hatten sich seit fast drei Jahren nicht gesehen. Er musterte Mervyn missbilligend und fragte ihn, was geschehen sei, als wüsste er von nichts. Mervyn beschloss, es sei am besten, Alexeis Spiel mitzuspielen, und erzählte ihm in allen Einzelheiten, was passiert war. »Dir ist doch klar, dass das schwerwiegende Vorwürfe sind, Mervyn«, sagte Alexei kalt. »Sehr schwerwiegend.«
Es waren nur wenige Formalitäten nötig. Alexei führte Mervyn einfach aus der Milizwache in ein wartendes Auto, eine SiL-Limousine. Alexei hat es weit gebracht, dachte Mervyn, als sie in die Leninberge hinauf und zurück zur Universität fuhren. Alexei versuchte, Konversation zu machen, und fragte höflich nach Mervyns Mutter. Mervyn antwortete, sie sei krank, doch es würde ihr noch viel schlechter gehen, wenn sie wüsste, in welchen Schwierigkeiten ihr Sohn steckte. »O ja, Mervyn«, sagte Alexei. »Du steckst in Schwierigkeiten.«
Sie hatten sich sonst wenig zu sagen, als sie nebeneinander auf der breiten Rückbank des Autos saßen.
Später, als er nachts allein in seinem Zimmer in der Universität saß und auf die Lichter der Stadt blickte, überlegte Mervyn angestrengt, was er nun tun sollte. Er nahm an, Alexei würde sein Angebot, »für das Volk der Sowjetunion« zu arbeiten, erneuern. Es waren noch sechs Wochen bis zu seinem Hochzeitstermin, und die Sowjets konnten ihn ohne Weiteres ausweisen oder bis zu zwei Jahre lang einsperren, wenn er nicht vorsichtig war. Seine Tage waren gezählt.
Mervyn erzählte Mila am nächsten Tag, dass der KGB eine »Provokation« gegen ihn inszeniert hatte. Mila, die bei Banalitäten so unvernünftig sein konnte, war in Krisensituationen ganz ruhig. Sie schenkte Mervyn eine Tasse Tee ein. »Tja, so ist das Leben in Moskau«, sagte sie und gab ihm auf einer Untertasse selbst gemachte Konfitüre, die er mit einem Löffel essen sollte. Mervyn hoffte darauf, den KGB irgendwie so lange hinzuhalten, bis er Ljudmila heiraten und sie für immer mit nach England nehmen könnte.
Leider hatte der KGB ganz andere Pläne. Es kam zu einer Reihe angespannter Treffen im Hotel Metropol mit seinen alten Gegenspielern Alexei und dessen Chef Alexandr Fjodorowitsch Sokolow. Mervyn versuchte es mit Ausflüchten, erzählte ihnen, wie sehr ihm der internationale Frieden und die Völkerverständigung am Herzen lägen. Die KGB-Männer wurden ungeduldig und drängten auf eine klare
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