Winterland
Winter.
»Nein.«
»Nein?«
»Es hat sich einfach nicht ergeben.«
»Ist das nicht ungewöhnlich? Zwei so begabte Köche wie Sie? Und die Stadt ist ja auch nicht so groß, und die richtig guten Restaurants nicht so zahlreich.«
»Es werden immer mehr«, sagte Dinter.
»Wo haben Sie denn gearbeitet, als Hirschmann von sich hören ließ?«
Dinter sagte den Namen des Restaurants. Es war auf jeden Fall eines der besseren.
»Ich war Küchenmeister.«
»Und doch haben Sie sich entschieden, eine Treppe auf der Karriereleiter hinunterzusteigen?«
»Als Sous-Chef unter Lars Hirschmann zu arbeiten heißt nicht, abzusteigen«, antwortete Dinter.
»Und das, obwohl Sie nie mit ihm zusammengearbeitet haben?«
»Man kennt doch seinen Ruf.«
»In welchem anderen Zusammenhang sind Sie ihm denn schon mal begegnet?«, fragte Winter.
»Überhaupt nicht«, sagte Dinter und lehnte sich wieder vor. Winter konnte sehen, wie sich seine Hände bewegten. Er sah die Narben auf Dinters Fingern. Das waren die Kennzeichen eines Kochs. »Klingt vielleicht komisch, aber ich habe die meisten Jahre meiner Laufbahn im Ausland gearbeitet, und da, ja, da hat es sich einfach nicht ergeben, dass wir uns begegneten.«
»Und trotzdem ruft er Sie an und bietet Ihnen den Job als Sous-Chef an?«
»Na ja, ich habe es wohl auch geschafft, mir einen gewissen Ruf zu erwerben«, sagte Dinter, und Winter meinte, wieder den Ansatz eines kleinen Lächelns zu sehen.
»Und wie hat es funktioniert?«, fragte Winter.
»Was denn?«
»Wie hat es funktioniert, als Sie bei Hirschmann anfingen? Konnten Sie gut miteinander?«
»Ja. Aber das sollten Sie vielleicht auch die anderen vom Personal fragen.«
»Wie lief es denn gestern Abend?«, fragte Winter.
Er suchte in Dinters Gesicht nach einer Spur von Überraschung, aber das Einzige, was er sah, war wieder dieser Schatten eines Lächelns. Das gefiel Winter nicht. Es war fast, als fehlte Dinter die Fähigkeit zu trauern. Oder als stünde er immer noch unter Schock. Oder als dächte er jetzt schon über seine weitere Karriere nach.
»Ich habe Sie … gestern in der Küche gesehen«, sagte Dinter jetzt.
»Ich habe Sie aber nicht gesehen«, meinte Winter.
»Nein. In der letzten Stunde lief alles ein wenig chaotisch. Hirschmann hat die Küche ja eine Stunde länger geöffnet als die meisten anderen Lokale.« Dinter lehnte sich auf dem Stuhl zurück. Winter bemerkte, dass er immer noch von Hirschmann in der Gegenwart sprach. »Für einen Besucher sind wir meist nur eine Gruppe von weiß gekleideten Leuten.«
»Sehen Sie es so?«, fragte Winter.
Dinter zuckte mit den Schultern.
»Ich habe vorhin gefragt, wie es denn gestern lief.«
»Wie immer«, antwortete Dinter. »Stressig, aber ohne Probleme.«
»Nichts Unerwartetes?«
»Wie meinen Sie?«
»Ich weiß nicht«, gab Winter zurück. »Da Ihr Chef kurz darauf in derselben Nacht ermordet wurde, kann man ja vielleicht mal darüber nachdenken, ob im Laufe des Abends irgendetwas Ungewöhnliches geschehen ist, oder?«
»Ich … hatte einfach keine Zeit, an etwas anderes als meine Arbeit zu denken.«
»Wann haben Sie Schluss gemacht?«, fragte Winter und suchte wieder nach einer Spur von Zögern in Dinters Gesicht. Das Einzige, was er sah, war ein Blinzeln, aber der Mann musste ja auch schließlich müde sein. Wer jetzt nach irgendwelchen Spuren in Winters Gesicht suchte, würde dasselbe Blinzeln sehen.
»Zur üblichen Zeit«, antwortete Dinter.
»Und wann war das?«
»Halb eins.«
»Wer war zu der Zeit noch da?«
»Die Leute vom Spüldienst. Die hören um eins auf.«
»Sonst niemand?«
»Meinen Sie im ganzen Restaurant oder nur in der Küche?«
»Überall«, sagte Winter.
»Der Oberkellner ging ungefähr zehn Minuten vor mir. Er war der Letzte vom Service.«
»Waren außer den Spülern noch mehr Leute in der Küche?«
»Außer Hirschmann niemand.« Dinter lehnte sich wieder vor. Es fiel ihm schwer, stillzusitzen. Aber Winter wusste auch, dass das kein bequemer Stuhl war. »Er war immer der Letzte.«
»Haben Sie miteinander geredet?«
»Wann? Meinen Sie gestern Abend?«
»Ja.«
»Nee, nur ein paar Worte. Das Übliche. Etwas über den Abend und den nächsten Tag.«
»Was haben Sie über den nächsten Tag geredet?«, fragte Winter.
»Ja, mein Gott … was haben wir geredet … es ging ums Menü. Wir wollten etwas mit Kohlfisch ausprobieren, wenn wir ein paar gute Exemplare kriegen könnten. Hirschmann sagte irgendwas in der Richtung, es sei an
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