Winterlicht
angespannt in einer Ecke. Die Ehefrau eines Herzogs, eine selbst ernannte Anstandsdame, starrte Finnikin mit versteinerter Miene an. Isaboe trug noch immer das schlichte Baumwollkleid, das ihre Yata für sie genäht hatte. Sie wirkte erleichtert, ihn zu sehen, jemanden, der ihr vertraut war.
„Ich werde einen Weg finden“, sagte er mit heiserer Stimme, „einen Weg durch das Haupttor, bei dem du nicht riskieren muss t …“
„Finnikin, hör auf“, sagte sie leise.
Ihr Blut wird fließen, damit du König wirst.
„Ich werde einen Weg finden“, sagte er aufgebracht und packte sie an den Armen. „Damit du in Sicherheit bist.“
„Genau davor habe ich mich immer gefürchtet“, sagte sie. „Dass du mich in einen goldenen Käfig sperren und mich dort verstecken willst. Ich danke der Göttin, dass ich die Wahrheit nicht schon vor sechs Monaten offenbart habe, Finnikin. Ich wäre noch immer im Kloster von Sendecane oder an einem fremden Hof, umringt von Leibwachen, und würde mich zu Tode langweilen.“
„Ihr dürft Euch in diesem Zelt nicht aufhalten, junger Mann“, rief die Herzogin aus, „und noch viel weniger dürft Ihr die Königin so vertraulich anfassen!“
Finnikin beachtete die Frau nicht, sein Blick ruhte auf Isaboe. Sie war ein kostbares Gut. Eine Handelsware. Eine Opfergabe. Er erinnerte sich an Sir Tophers Worte in Lord Augustins Haus. Die Prinzessinnen waren vom Tag ihrer Geburt an dazu bestimmt, für das Königreich geopfert zu werden.
„Lady Milla, wärt Ihr bitte so freundlich, uns allein zu lassen?“, sagte Isaboe.
Sie wusste, wie sie überzeugend und dennoch höflich klingen konnte. Das war ein Befehl, und mit einem empörten Schniefen und einem letzten Blick auf Finnikin verschwand die Frau.
„Ich habe es schon einmal gesagt. Du kannst diese Reise nicht ohne mich beenden. So hat es Seranonna vorhergesagt. Du wirst die Hand jenes Menschen halten, den zu retten du gelobt hast. Meine Hand“, sagte sie.
Er musste an das Gespräch im Felsendorf von Yutlind Süd zurückdenken. Evanjalin hatte gefürchtet, dass Balthasar die Rückkehr nach Lumatere nicht überleben würde. Die ganze Zeit hatte sie Angst davor gehabt, am Haupttor zu sterben, dennoch hatte sie sich durch nichts aufhalten lassen. Dass sie trotz ihrer Angst so viel Mut hatte, zerriss ihm fast das Herz.
Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bevor er seine Stimme wiedergefunden hatte. „Wer ist die Dunkelheit und wer das Licht?“, fragte er.
„Vielleicht tragen wir beide sowohl Dunkles als auch Helles in uns.“
„Und die Qual, die niemals enden wird?“
Tränen traten ihr in die Augen. „Ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass du vielleicht meinetwegen leiden musst.“
„Aber von welcher Qual ist in dem Fluch die Rede?“, wiederholte Finnikin vorsichtig seine Frage.
Es dauerte einen Moment, bevor sie antwortete. „Von meiner, Finnikin. Und von der Qual ganz Lumateres.“
„Dann will ich diese Last mit dir teilen.“
Sie schauderte, als hätte sie zu lange den Atem angehalten. Es stand ihr ins Gesicht geschrieben. Sie nahm ihr Schicksal an.
„Musst du mit der Garde sprechen?“, fragte er. „Den Männern Anweisungen geben, bevor ich dich zum Haupttor bringe?“
Sie nickte.
„Wir tun es jetzt, Evanjalin.“
„Isaboe. Mein Name ist Isaboe.“
Noch vor Einbruch der Dämmerung versammelten sie sich in ihrem Zelt. Die Königin, der Oberste Ratgeber der Königin, der Priesterkönig, der Hauptmann der Königlichen Garde, der Botschafter, fünf Herzöge und Herzoginnen, Saro von den Monts und Finnikin von den Felsen.
Für eine offizielle Zeremonie war zu wenig Platz, die Königin saß wie der Rest der Anwesenden auf dem harten Boden. Sir Topher nickte ihr aufmunternd zu, doch es dauerte eine Weile, bis sie zu sprechen begann.
„Das ist mein Erbe“, sagte sie schließlich, „bestätigt durch die Anwesenheit des Hofes von Lumatere im Exil und im Angesicht der Göttin mit den zwei Gesichtern.“
Als die Göttin erwähnt wurde, war ein Raunen von Lord Freychinat zu hören. Es war derselbe Herzog, der sein Gefolge in Lumatere zurückgelassen hatte, ohne in all den Jahren irgendeinen Gedanken an seine Getreuen zu verschwenden, dachte Finnikin bitter.
„Wenn es der Wille der Göttin ist, dass ich heute ins Reich der Götter und nicht nach Lumatere gehen werde, ernenne ich Sir Kristopher aus dem Tiefland zu meinem Nachfolger. Er soll mein Volk anführen. Sir Topher, Ihr werdet ein Oberhaupt für jede
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