Winterlicht
stolperte ihren Verwandten entgegen und rief immerfort ihre Namen. Finnikin sah einen Anflug von Ärger über Frois Gesicht huschen, als um ihn herum Tumult ausbrach. Der Dieb blieb vor dem Priesterkönig stehen, während sich die Flüchtlinge an ihm vorbeidrängten und versuchten zu der jungen Frau zu gelangen. Doch der Mann mit dem Säugling stolperte über Frois Fuß und der Priesterkönig schaffte es gerade noch rechtzeitig, das Kind aufzufangen. Schnell schob er es in Frois Arme, damit es nicht noch erdrückt wurde. Froi hielt es hoch über den Kopf, als würde er damit die Freiheit verkünden. Die Schreie des Säuglings waren überall im Dorf und weit über den Platz hinaus bis in den Palast zu hören.
Und es war dieses Bild, das sich in die Herzen und Köpfe aller einbrannte, die diesen Tag erlebt hatten. Froi von den Heimatlosen hielt die Zukunft Lumateres in den Händen.
Dritter Teil
Die Gefährtinnen der Königin
Kapitel 27
T revanion sah nichts weiter als verbrannte Stümpfe und beißenden Rauch. Vor einer Woche hatten sie Lumatere betreten. Doch viel früher schon hatte es der Thronräuber im Königreich flüstern hören: dass die Rückkehr des rechtmäßigen Thronerben bevorstand. Aus Zorn darüber hatten die Männer des Thronräubers das Königreich in Brand gesetzt und dabei die Hütten der meisten Bauern und das Ackerland zerstört. Hier in Sennington war nur das Gutshaus übrig geblieben. Während in anderen Teilen Lumateres der Wiederaufbau begonnen hatte und der Boden wieder gepflügt wurde, mussten die Felder hier erst gereinigt werden, bevor sie bestellt werden konnten. Eine Aufgabe, die harte Knochenarbeit erforderte.
Bisher hatte Trevanion jeden Tag, wenn er vorbeigeritten war, den Dorfbewohnern bei der Arbeit zugesehen. Nur zu gerne hätte er mit angepackt. Hier im Dorf Sennington. In Beatriss’ Dorf.
Er saß an der Straße ab und lief den langen, schmalen Pfad entlang, der zum Gutshaus führte. Einige Männer beluden Wagen mit Trümmer- und Balkenteilen, verkohlten Resten, die an das einstige Dorf erinnerten. Die Arbeiter hielten inne, als er vorbeiging, wechselten Blicke und nickten in seine Richtung.
Er erreichte die Eingangstür und klopfte. Als er keine Antwort erhielt, trat er zögernd ein und folgte lauten Stimmengeräuschen in die Stube. Es schien, als hätte sich fast das gesamte Dorf Sennington in diesem Raum versammelt. Er erkannte auch Flüchtlinge unter den Anwesenden. Einige standen, doch die meisten saßen um einen langen Tisch, knabberten an Maiskolben und schlürften Suppe. Er vermutete, dass nicht viel mehr in ihren Schalen war als Wasser mit etwas Würzmittel, trotzdem klangen ihre Stimmen heiter.
Und dann bemerkten sie ihn. Stille senkte sich über den Raum und plötzlich sah er sie neben dem Herd stehen. Eine Kanne in der Hand, starrte sie ihn an. Ihr Haar, das einst in langen, kupferfarbenen Wellen über ihre Schultern gefallen war, war nun kurz geschnitten und umrahmte ein sonnengebräuntes Gesicht. Sie war schmaler, als er sie in Erinnerung hatte, doch weder die Flüchtlinge noch die im Königreich Zurückgebliebenen hatten viel Fleisch auf den Rippen. Er fühlte sich unwohl, wie ein Eindringling.
„Lady Beatriss.“
Noch immer sagte niemand ein Wort. Dann stand einer der Männer auf. Trevanion erinnerte sich an ihn. Er war Beatriss’ Vetter, ein wohlhabender Händler, der die meiste Zeit damit verbracht hatte, durchs Land zu reisen. Nur in den letzten zehn Jahren nicht.
„Hauptmann Trevanion. Willkommen zu Hause.“ Der Ältere verbeugte sich.
„Entschuldigt meine Unhöflichkeit, Hauptmann Trevanion“, sagte Beatriss schließlich und ging mit ausgestreckter Hand auf ihn zu. Ein Teil von ihm wollte darüber lachen, dass sie einander die Hände schüttelten. Fremde und Bekannte gaben sich die Hand. Aber nicht Mann und Frau, und das umso mehr, wenn sie schon ein Kind miteinander hatten. Nicht zwei Liebende, die in den frühen Morgenstunden einstimmig ihre Lust hinausgeschrien hatten, während der Rest der Welt noch schlief und ihre Körper versprachen, einander nie zu verlassen.
Ihre Stimme war noch dieselbe, obwohl sie kräftiger und fester klang. Doch ihr Blick hatte sich verändert. Er erinnerte sich daran, wie sie ihn voller Vertrauen angeblickt oder den Prinzessinnen und den jüngeren Kindern ein Lächeln voller Zuneigung geschenkt hatte. Während der letzten Woche hatte er beobachtet, wie liebevoll sie mit ihrem Kind umging, doch sie hatte ihre
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