Winterlicht
als sei er wieder acht Jahre alt und Beatriss würde ihn dafür rügen, dass er Isaboe mit ihrem Haar am Fahnenmast festgebunden hatte.
„Wenn es dir bei dieser Entscheidung um Macht geht, bist du vielleicht doch nicht der Richtige für die Königin.“
„Der Prinz von Osteria hat Interesse bekundet“, warf Sir Topher ein.
„Ich habe gehört, er sei ein strammer Bursche“, erwiderte Lady Beatriss freundlich und verschwand im Nebenraum. Finnikins Blick war verschleiert. Er suchte Augenkontakt mit Sir Topher, der ihm erneut auswich und sich zu Lady Beatriss umwandte. Sie kam mit einem großen Buch zurück und legte es vor ihnen auf den Tisch.
„Hier stehen die Toten drin“, sagte sie und schlug eine Seite auf. „Neben jedem Namen ist notiert, wie sie starben.“ Sie schlug eine andere Seite auf. „Das sind die Festgenommenen. Und hier sind die Angriffe auf unsere Besitztümer festgehalten; allerdings haben wir nach zwei Jahren aufgehört, darüber Buch zu führen.“
Finnikin deutete auf die Namen, die mit roter Tinte markiert waren.
Sie sah ihn an. „Spione.“
„Verräter?“
Sie zuckte die Schultern. „Was auch immer sie taten oder sagten, ihre Spitzeldienste bewahrten sie vor jeder Strafe. Es ist eine Schande, es auszusprechen, aber die Adligen waren die Schlimmsten. Mithilfe von Lord Augustin und Lady Abian hätten wir noch einiges erreichen können. Und ich kann mir vorstellen, dass auch Lord Selric mehr Anstand bewiesen hätte.“
„Eure Haltung war tadellos, Lady Beatriss“, sagte Finnikin. „Euer Name wurde während der letzten Wochen meiner Reise oft gepriesen. Ihr habt Eure Bürgerpflicht voll und ganz erfüllt.“
„So waren die Umstände und manchmal hatten wir keine Wahl. Ich konnte nicht anders, als mich für die Menschen einzusetzen. Unter ungünstigeren Bedingungen hätte ich vielleicht den Weg meiner Adelsgenossen eingeschlagen.“
„Wie kam es, dass Ihr überlebt habt, Lady Beatriss, obwohl alle Flüchtlinge glaubten, Ihr wäret tot?“, fragte er vorsichtig.
„Vielleicht möchte Lady Beatriss nicht über diese Zeit sprechen“, sagte Sir Topher.
Finnikin hielt ihrem Blick stand. „Mein Vater betrauerte zehn Jahre Euren Tod.“
„Finnikin“, warnte Sir Topher.
„Hier stehen die Geburten“, sagte sie ruhig und ließ Finnikins Frage im Raum stehen. „Nach der letzten Zählung waren wir eintausendneunhundertdreiundzwanzig. Die Zahl der Waldbewohner ist schwerer zu bestimmen. Einige haben überlebt, vielleicht wurden sie von unseren Leuten während des Grauens versteckt. Ich habe sie nie gesehen, doch Tesadora hat angedeutet, dass es noch welche in den Wäldern jenseits des Klosters gibt.“
„Dennoch erlaubt es Euch Tesadora, an ihrem Leben mit den Novizinnen teilzuhaben“, bemerkte Finnikin.
Beatriss nickte. „Aber sie blieb immer verschlossen. Am Ende waren nur noch so wenige Waldbewohner übrig, dass sie niemandem mehr vertraute.“ Sie beugte sich vor und flüsterte: „Wir waren sehr froh, dass sie die Novizinnen von Lagrami und später die jungen Mädchen versteckte.“
Finnikin nahm behutsam ihre Hand. „Der Thronräuber und seine Männer sind entmachtet. Ihr habt keinen Grund mehr, Angst zu haben. Wir müssen lernen, mit lauter Stimme zu sprechen und nicht mehr zu flüstern. Das ist es, was die Königin möchte.“
Sie nickte. „Hier stehen die Ernten.“ Sie schlug eine weitere Seite auf. „Die Tage der Dunkelheit.“ Sie zeigte auf den Eintrag. „Die Tage des Lichts.“
„Ist das oft passiert?“, fragte Sir Topher.
Sie nickte. „Die ersten fünf Jahre waren die schlimmsten. Einige Wochen wurde es nicht mehr hell und wir befürchteten schon, dass die Ernten ungenügend ausfallen würden und wir verhungern müssten. Nicht einmal die überlebenden Anhänger der Sagrami wussten, wie man die Finsternis bekämpfen könnte oder was sie zu bedeuten hatte. Alle Antworten schienen mit Seranonna gestorben zu sein.“
Sie schob das Buch zu Finnikin hinüber und stand auf, um die Tassen nachzufüllen. Sir Topher trat zum Fenster und spähte hinaus. „Ist das Gilbere aus dem Tiefland, Lady Beatriss?“
„Mein Vetter, ja.“
„Wir sind als Kinder zusammen zur Schule gegangen. Entschuldigt ihr zwei mich?“
„Natürlich.“
Sir Topher verließ das Haus und Finnikin begann die Aufzeichnungen aus Beatriss’ Buch in sein eigenes zu übertragen.
„Ich habe überlebt, weil sie zurückkam, um mich zu retten. Ihre Mutter hatte sie darum gebeten“,
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