Winterlicht
an.
„Das ist seine Lieblingsantwort“, bemerkte Finnikin trocken. „Wir können ihn in Charyn loswerden.“
„Nicht, wenn wir dort Vertriebene antreffen, und ich fürchte, das werden wir. Vielleicht in Sorel.“
„Ich glaube, in Sorel wird es ihm gefallen“, sagte Finnikin. Er wandte sich an den Dieb. „Hast du schon von den Gefängnissen in den Minen gehört?“
Der Junge wurde blass und Finnikin blickte zufrieden zu Sir Topher. „Gut. Er scheint sie zu kennen.“ Er sah, dass Evanjalin unter einem Baum kauerte. Sie hatte den Kopf in den Händen vergraben. „Er hat ihren Ring verkauft.“
Sir Topher seufzte. „Sobald wir in Sorel sind, brauchen wir uns keine Sorgen mehr zu machen.“
Vierzehn Tage noch, dachte Finnikin, während Sir Topher das Pferd bepackte. Länger würden sie nicht brauchen. Dann würden der Dieb aus Sarnak und die Novizin Evanjalin für immer aus ihrem Leben verschwinden.
Kapitel 4
E s waren stets ihre Augen, die verrieten, dass sie aus Lumatere kamen. Und auch diesmal war es nicht anders. Als sie durch die Tore von Charyn zogen, kicherten die beiden Wachen, und Finnikin hörte, wie sie einer leise „Hunde“ nannte. Ob sie aus den Bergen, dem Flussland oder dem Tiefland stammten, ob sie dunkelhaarig oder blond waren: Die Bewohner von Lumatere hatten tief liegende Augen. Finnikin hatte gehört, dass der König von Charyn seinen Wachen befohlen hatte zu messen, wie weit die Augen der Gefangenen aus Lumatere von der Nase entfernt waren, denn er glaubte, die Augen lägen zu dicht beieinander. Dies sei der Grund dafür, dass die Lumaterer keine Menschen seien.
Finnikin hasste dieses Königreich. Er und Sir Topher hatten einmal den Hof von Charyn besucht, kurz nachdem sie vertrieben worden waren. Damals hatten sie um ihr Leben gefürchtet. Während der Woche, die sie am Hof verbrachten, ereigneten sich seltsame, unheimliche Dinge. Nachts ertönten Schreie, die einem das Blut gefrieren ließen, und Schreie der Wut. Viele behaupteten, das königliche Blut sei verdorben und der Herrscher und alle seine Nachkommen seien dem Wahnsinn nahe.
Der Weg zur Hauptstadt war rechts und links von Steinhäusern gesäumt. Sie waren schmucklos mit Ausnahme der Türen, um die sich Rosensträucher rankten, deren Knospen noch nicht aufgegangen waren. Obwohl es sie bestimmt zehn Tage kosten würde, wollten sie einem der drei Flüsse in Charyn folgen, deren Lauf nach Sorel führte. Wenn hier Flüchtlinge lebten, dann waren sie bestimmt am Fluss zu finden. Die Bewohner von Lumatere waren voll nostalgischer Sehnsucht, es zog sie immer wieder in Landschaften, die ihrer untergegangenen Welt ähnelten.
Vier Tage später fanden die Reisenden auch wirklich ein Lager. Sie standen auf einem schmalen Hügelkamm und blickten auf eine kleine Ansiedlung hinunter, in der vielleicht fünfzig Vertriebene lebten. Finnikin ging als Erster. Er suchte an Ästen und Zweigen Halt und schlitterte hinunter zu dem flachen, schmalen Ufer, wo die Zelte standen.
Zwei der Vertriebenen, ein Mann und eine Frau, kamen ihm zur Begrüßung entgegen. Wie immer war auch bei ihnen Misstrauen zu spüren. Obwohl die Lager oft weit voneinander entfernt waren, kam den Vertriebenen zu Ohren, was sich in den anderen Königreichen ereignete, und sie wussten sehr wohl, dass auch sie in ständiger Gefahr schwebten. Während ihrer Reisen trafen Finnikin und Sir Topher Jahr für Jahr dieselben Flüchtlinge, aber diese Leute hier kannten sie nicht. Sie hatten sich offenbar gut versteckt.
Sir Topher stellte sich und Finnikin vor, und der Mann musterte den Jüngeren. Dann nickte er, streckte den Arm aus und beugte ihn dann mit geballter Faust. So begrüßten sich die Menschen aus dem Flussland.
„Sohn des Trevanion“, sagte er ehrerbietig.
Finnikin hob den Arm auf gleiche Weise und umfasste die Faust des Mannes.
„Wir waren noch Kinder und lebten am Fluss, als Trevanion zu seiner Verteidigung zurückkehrte“, erklärte die Frau. „Ich heiße Emmian und das ist mein Mann Cibrian.“
Es wunderte Finnikin nicht im Geringsten, dass die Flussbewohner von Lumatere hier das Sagen hatten, dies war in vielen Lagern so. Sie und die Leute aus den Bergen waren die Unbeugsamsten ihres Volkes.
„Die Sippe deiner Mutter stammt aus der Felsenregion, nicht wahr?“, sagte Cibrian.
Finnikin nickte. „Ich habe den größten Teil meiner Kindheit dort bei meiner Großtante verbracht. Sie passte auf mich auf, wenn mein Vater unterwegs war.“
„Bist du
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