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Winterlicht

Winterlicht

Titel: Winterlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melina Marchetta
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die meisten Mädchen von höherem Stand. Man lehrte sie, gute Ehefrauen zu sein. Sie waren gebildet. Ich habe mehr als einmal gehört, dass es eine Schwäche des Hauptmanns gewesen sei, dass er sich in eine verhätschelte Tochter aus Lumatere verliebte. Aber Trevanion wusste, dass mehr in ihr steckte, als die anderen sahen.“
    „Sie war beinahe so schön wie die Prinzessinnen“, murmelte Emmian.
    „Niemand war so schön wie die Prinzessinnen.“ Der Einwurf kam von einem Mann draußen vor der Tür. Finnikin bemerkte, dass sich trotz des Nieselregens draußen einige Zuhörer versammelt hatten.
    „Trevanion wäre da anderer Meinung. Aber das war nicht immer so. Seht ihr, Lady Beatriss war das Kindermädchen von Balthasar und Isaboe und eng befreundet mit den drei älteren Prinzessinnen. Und ich muss leider zugeben, dass die Königskinder und ich Beatriss das Leben nicht gerade leicht machten. Balthasar und Isaboe waren manchma l … nun ja, sagen wir mal: sehr ausgelassen. Sie fürchteten sich vor nichts und niemandem. Sie verbrachten so manchen Tag im Palastturm und riefen den Kindern des Dorfes Schimpfworte hinterher, und die arme Beatriss musste sie im Zaum halten und sie immer wieder anflehen, sich gut zu betragen.
    Aber Balthasar liebte die Leute aus dem Dorf. Er nannte sie ‚seine Nachbarn‘, und er kannte jeden Einzelnen beim Namen. ‚Deine Rosenbeete sind eine Pracht, Esmine. Ich muss meiner Mutter eine von deinen Rosen mitbringen.‘ Oder: ‚Ich hoffe, ihr werdet diesen Wein mit meinem Vater zusammen trinken, wenn die Trauben reif sind, Ward.‘ Die Königin erzog ihre Kinder so, dass sie keinen Unterschied machten zwischen sich und den ärmsten Dörflern. Obwohl sie uns oft die Ohren lang zog, weil wir den Jungen aus dem Dorf zeigten, wie man mit einem Pfeil Spatzen von den Hüttendächern schießt.
    Eines Tages hatte sich Balthasar wagemutig aus dem Turm gelehnt, als der Hauptmann der Königlichen Garde zufällig über die Zugbrücke in den Palast ging. Ich kann mich noch daran erinnern, wie er lauthals schrie und uns befahl, vom Turm runterzukommen. ‚Und Ihr da auch!‘, rief er und zeigte mit dem Finger auf Lady Beatriss.“
    Die Jüngeren im Zelt lachten und auch Sir Topher schmunzelte. „An dieses Gebrüll kann ich mich noch gut erinnern“, stimmte Cibrian nickend zu.
    „Eine zitternde Lady Beatriss machte sich auf den Weg zum Burggraben, und wir folgten ihr, um uns die größte Tracht Prügel unseres Lebens abzuholen. Die arme Beatriss schluchzte, aber Trevanion rief: ‚Hört auf zu heulen! Das sind die Kinder des Königs. Ihr dürft sie nicht in Gefahr bringen. Reißt Euch zusammen. Oder seid Ihr nur ein Püppchen mit einem hübschen Gesicht und einem einflussreichen Vater?‘“
    Von drinnen und draußen waren Schreckensseufzer zu hören.
    „Natürlich erhielt er den Befehl, sich dafür zu entschuldigen, doch er weigerte sich. Es sei seine Aufgabe, die königliche Familie zu beschützen, erklärte er dem König, und deshalb müsse er alles tun und sagen können, was dazu nötig sei. In der Zwischenzeit hatte man Beatriss auf den Landsitz ihres Vaters zurückgeschickt, bis sich die Aufregung legen würde. Die drei älteren Prinzessinnen weigerten sich, mit dem König zu sprechen, solange sich Trevanion nicht entschuldigt hatte. Und Balthasar und Isaboe beklagten sich, dass ihr neues Kindermädchen die gemeinste Person in ganz Lumatere sei. Ja, so lagen die Dinge.“
    Finnikin machte eine Pause, beinahe ein wenig benommen von den erwartungsvollen Blicken der Kinder und der Erwachsenen um ihn herum. Einige hatten sich von draußen ins Zelt gedrängt, damit sie neben Cibrian und seiner Familie sitzen konnten. Evanjalin hatte die Hände um die angewinkelten Beine geschlungen und den Kopf auf die Knie gelegt. Sie blickte versonnen vor sich hin, aber ihr Lächeln blieb, und dieses Lächeln berührte etwas in Finnikin.
    „An dem Tag, als mich mein Vater zur Familie meiner Mutter ins Felsendorf brachte, änderte sich alles. Balthasar und Isaboe bettelten darum, dass sie auch mitkommen durften. Und wer konnte schließlich besser auf die Kinder des Königs aufpassen als der Hauptmann der Königlichen Garde? Selbst die einfältigste Frau in ganz Lumatere war dieser Meinung.
    Auf dem Weg machten wir im Tiefland halt, um dem Herzog von Sennington, Beatriss’ Vater, einige Schriftstücke zu übergeben. Trevanion befahl uns Kindern, bei den Pferden zu bleiben, während er selbst ins Herrenhaus ging.

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