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Winterlicht

Winterlicht

Titel: Winterlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melina Marchetta
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die Fremden zutreten wollte.
    Aber nichts konnte Evanjalin aufhalten, und so folgte ihr Sir Topher seufzend; den Dieb zog er hinter sich her.
    „Das ist unser Pferd!“, sagte sie laut zu einem der Männer. Als er sie nicht weiter beachtete, versetzte sie ihm einen Knuff und wiederholte: „Das ist unser Pferd.“
    „Kannst du das beweisen?“, fragte er nicht unfreundlich.
    „Wir brauchen das Pferd“, sagte sie heftig.
    „Du kannst es haben“, sagte der Mann und grinste hämisch. „Für zehn Silberstücke gehört es dir.“
    Evanjalin wirbelte herum und blickte Sir Topher flehend an. Beide wussten: Ohne Pferd würde man Finnikin und Trevanion rasch wieder einfangen.
    „Wir haben aber nur fünf“, sagte Sir Topher.
    „Dann schlage ich vor, Ihr sucht einen Hausierer auf und kauft dem jungen Ding da ein hübsches Kleid“, sagte der Mann und sah an Evanjalin hinunter, die eine Hose und eine Jacke von Finnikin trug.
    Dann veränderte sich seine Miene. Er trat ganz nahe an Evanjalin heran und umfasste ihr Gesicht. „Sie würde bestimmt ein hübsches Sümmchen einbringen. Sogar mit den blauen Flecken. Die Händler aus Sorel reißen sich um so stramme junge Dinger wie dich.“
    „Sie steht nicht zum Verkauf“, sagte Sir Topher rasch.
    Evanjalin befreite sich schaudernd aus dem Griff des Mannes. Sie zerrte den Dieb von Sarnak nach vorn und fragte: „Wie viel gebt Ihr uns für den da?“
    Mit jedem Tag seiner Gefangenschaft wuchs Finnikins Missmut. Aus Angst, dass sie vielleicht bald nicht mehr für die Arbeit im Freien eingeteilt würde n – das hätte das Ende all ihrer Hoffnungen bedeute t – lag er Trevianion ständig mit seinem Fluchtplan in den Ohren. Aber es regnete nun schon tagelang und Trevanion war der Ansicht, bei einem solchen Wetter konnte der Ausbruch nur misslingen.
    „Warum nicht jetzt?“, raunte Finnikin seinem Vater zu, als der Regen endlich aufgehört hatte. „Die Wachen, die für heute eingeteilt sind, sind ein fauler Haufen.“
    „Sei still und hör mit der Fragerei auf“, sagte Trevanion schroff.
    Und so verging ein weiterer Tag mit Warten. Als Trevanion am Abend in der Zelle seine eigene Essensration in die Schüssel seines Sohnes kippte, kochte Finnikins Wut über.
    „Behandle mich nicht wie ein kleines Kind“, fauchte er und stieß die Schüssel beiseite.
    „Dann benimm dich auch nicht so und iss!“, befahl Trevanion. „Wir haben nur einen einzigen Versuch, Finnikin. Wenn der schiefgeht, werden du und ich in dieser Zelle alt und grau werden. Dabei wünsche ich mir nichts sehnlicher, als meinen Sohn in Freiheit zu sehen und der Novizin den Hals umzudrehen, die ihn in dieses Gefängnis gebracht hat. Aber wir brauchen dazu Geduld, Glück und den richtigen Zeitpunkt. Und heute war einfach nicht der richtige Tag.“
    „Was ist, wenn du dich irrst?“ Im selben Augenblick bereute Finnikin seine Worte.
    „Am dritten Tag der ersten Woche des Monats“, fuhr Trevanion ungerührt fort, „stattet die sorelische Palastgarde den Bergwerken einen Besuch ab. Hätten wir heute einen Ausbruchsversuch unternommen, wären wir ihnen auf der Küstenstraße geradewegs in die Arme gelaufen.“
    Finnikin wagte es nicht, Trevanion in die Augen zu sehen. „Ich werde niemals wieder Eure Anordnungen infrage stellen, Sir.“
    Als er den Kopf hob, umspielte ein leises Lächeln Trevanions Mundwinkel.
    „Jede Wette, das wirst du“, sagte sein Vater. „Ich zähle darauf.“
    Je mehr Zeit Finnikin mit seinem Vater verbrachte, desto mehr gewöhnte er sich an dessen schweigsame Art. Manchmal fiel mehrere Stunden lang kein Wort zwischen ihnen, dann wieder weckte ihn Trevanions Stimme mitten in der Nacht.
    „Ich frage dich das nur ein einziges Mal, dann will ich nie wieder darüber reden“, sagte sein Vater eines Nachts.
    Finnikin wusste genau, worauf Trevanion hinauswollte, und erwartete seine Frage. Als jedoch nichts kam, wandte sich Finnikin zu ihm um und sagte: „Es war ein Mädchen. Winzig klein, kaum größer als meine Hand. Seranonna hat es entbinden helfen, bevor sie den Scheiterhaufen bestieg. Da hatte sie noch das Blut Isaboes und das Blut der Geburt an ihren Händen. Man sagte, es sei ein Segen, dass Lady Beatriss zusammen mit dem Säugling gestorben sei.“
    Aber Finnikin verschwieg, dass man die Hebamme an den Pfosten gebunden hatte wie auch den Heiler und das junge Mädchen mit den freundlichen Augen, das ihm einmal einen Trank zur Stärkung gereicht hatte. Und dass er sein Leben lang

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