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Winterlicht

Winterlicht

Titel: Winterlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melina Marchetta
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nicht vergessen würde, wie sie gestorben waren. Der Gestank nach verbranntem Fleisch, die qualvollen Schreie, die einfach nicht verstummen wollten. Dann die gespenstische Stille. Er brachte es nicht über sich, seinem Vater die Wahrheit zu sagen über jenen schrecklichen Tag. Wie er als Neunjähriger auf dem großen Platz zum ersten Mal in seinem Leben einen Menschen getötet hatte. Die Waffe war ein Dolch gewesen mit gut austarierter Klinge, geeignet für einen zielgenauen, weiten Wurf. Ein Dolch, der schnell flog und tief ins Fleisch drang. Ein Dolch, der zielsicher tötete.
    Bis Sir Topher und Evanjalin das Pferd endlich wieder zurück in die Schlucht gebracht hatten, war der Tag schon weit vorangeschritten. Sie setzten ihren Weg zu der verfallenen Hütte fort, wo Evanjalin sich unverzüglich auf ihren Wachposten am Tor begab. Sie war zum Umfallen müde, aber Sir Topher konnte sie nicht dazu bewegen, sich auszuruhen. Es gab Zeiten, da brachte ihre entwaffnende Unerschütterlichkeit auch ihn dazu zu glauben, dass Finnikin und sein Vater irgendwann den Pfad zur Hütte hinabreiten würden. Manchmal jedoch riss ihm der Geduldsfaden.
    „Der Hauptmann der Königlichen Garde war der beste Krieger im ganzen Königreich“, sagte er in scharfem Ton, als sie sich wieder einmal nicht zur Ruhe begeben wollte. „Wenn er es schon nicht allein geschafft hat, aus dem Bergwerk von Sorel zu fliehen, was bringt dich auf die Idee, er könnte sich und seinen Sohn daraus befreien?“
    „Weil der beste Krieger unseres Königreichs bisher nicht fliehen wollte“, sagte sie bestimmt. „Notwendigkeit ist ein starker Antrieb. Im ganzen Land gibt es niemanden, der ein größeres Interesse daran hat, dass Finnikin freikommt, als sein Vater. Aber vor allem hat er jetzt eine Waffe, die wirksamer ist als die hier“, sie hob ihre Fäuste, „und das ist ein scharfer, kenntnisreicher Verstand. Schätzt nicht gering, was Finnikin bei Euch gelernt hat, Sir Topher. Er ist nicht nur der Sohn des Hauptmanns, er ist auch das Mündel des Obersten Ratgebers, von dem viele behaupten, er sei der klügste Mann von Lumatere.“
    In dieser Nacht betete Sir Topher zu seiner Göttin um ein Zeichen, doch am darauffolgenden Morgen war immer noch keine Spur von Finnikin und Trevanion zu sehen. Aber all das konnte die Novizin nicht beirren. Sie saß noch an genau derselben Stelle, an der Sir Topher ihr am Abend zuvor Gute Nacht gesagt hatte. Und diesmal trat er zu ihr an das ramponierte Tor und leistete ihr Gesellschaft.
    In der Mitte der darauffolgenden Woche war es so weit. Die Sonne stand hoch am Himmel, als Trevanion das ersehnte Zeichen gab.
    „Warum ausgerechnet jetzt?“, fragte Finnikin. „Am helllichten Tag kann man uns doch allzu leicht verfolgen. Sollten wir nicht noch etwas warten?“
    „Wir lassen niemanden zurück, der uns verfolgen könnte“, sagte Trevanion leise. „Man wird den Arbeitstrupp erst vermissen, wenn er am Abend nicht zurückkommt, und bis dahin sind wir hoffentlich schon weit weg.“
    Finnikin holte zum ersten Schlag aus und erwischte Trevanion kalt.
    „Das hat dir Spaß gemacht, was?“, knurrte sein Vater auf dem Boden liegend und rieb sich das Kinn, während sich nun auch die anderen drei Häftlinge an der Schlägerei beteiligten. „Ist dir mulmig?“, fragte er seinen Sohn, als die Wachen herbeieilten.
    „Nein, warum?“, erwiderte Finnikin.
    Der erste Wachmann war tot, noch ehe sein Körper auf dem Boden aufschlug. Trevanion schnappte sich sein Schwert und reichte es Finnikin, dann nahm er die Schlüssel und warf sie über die Köpfe der anderen hinweg dem Mann aus Yutlind zu. Der Yut war ein grimmiger Kämpfer und der Wärter neben ihm hatte keine Chance gegen ihn. Jetzt verstand Finnikin, warum man die Yuts auch als Wilde bezeichnete.
    Solange er noch angekettet war, konnte Finnikin das Schwert nur mit einer Hand führen. Deshalb fühlte er sich eingeengt, aber zum Glück waren die Gefängniswachen keine erfahrenen Schwertkämpfer. Sein Vater hingegen führte die Waffe, als wäre sie sein verlängerter Arm. Die zehn Jahre im Gefängnis hatten Trevanion nichts von seiner Schnelligkeit und Ausdauer gekostet.
    „Richte den Blick auf die Schwertspitze, Finn“, rief er über das Keuchen, Grunzen und Klirren hinweg. „Du hältst deinen Ellbogen falsch abgewinkelt.“
    „Weil er halb gebrochen ist“, schrie Finnikin verärgert zurück und duckte sich, als die Klinge des Wachmanns auf seinen Kopf zusauste.
    „Du

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