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Winterlicht

Winterlicht

Titel: Winterlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melina Marchetta
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Finnikin je erlebt hatte. Seine Mitgefangenen gebärdeten sich bedrohlich und nutzten jede Gelegenheit, um an der Kette seines Halseisens zu zerren, sodass er wund gerieben wurde. Oder sie ließen ihm schwere Steinbrocken auf den Fuß fallen. Oder sie zogen an seinen Fußfesseln, damit er der Länge nach hinfiel. Als er sich wohl zum zehnten Mal wieder aufrappelte, zitterte er vor Wut.
    Kaum waren sie in die Höhlen zurückgekehrt und die Ketten wieder los, stürzte er sich auf den Gefangenen aus Osteria und sie schlugen sich gegenseitig die Nasen blutig.
    Der dreihundert Pfund schwere, hässliche Fleischkloß klemmte Finnikins Kopf unter dem Arm ein, während die Wachen tatenlos zusahen. Es bereitete ihnen offenbar besonderes Vergnügen, wenn sich die Gefangenen untereinander in Stücke rissen. Da mischte sich auch noch Trevanion ein und das Blut spritzte nach allen Seiten.
    „Ich schaffe das schon alleine“, zischte Finnikin und rammte den Kopf seines Gegners, so fest er konnte, gegen die Felswand. Als der Mann Anstalten machte, sich bei Finnikin mit einem Fausthieb gegen die Schläfe zu rächen, erinnerte sich Finnikin daran, wie Trevanion voller Bitterkeit Evanjalins Worte wiederholt hatte.
    Ich habe getan, was getan werden musste.
    „Wir brechen aus“, raunte er dem Mann in dessen Muttersprache ins Ohr, ehe er ihm ein Stück davon abbiss und ausspuckte. „Willst du mitkommen?“
    Bis es den Wachleuten schließlich gelang, die Gefangenen voneinander zu trennen, hatte Finnikin noch jeweils einen Häftling aus Yutlind, Sarnak, Belegonia und Charyn für den Plan gewonnen. Auch wenn diese Männer ehrlos waren, so richtete sich doch ihr Hass zuallererst gegen die Sorelaner und dann erst gegen fremde Mitgefangene.
    „Deinetwegen kriege ich graue Haare“, murmelte Trevanion später, als sie allein in ihrer Zelle waren.
    „Das liegt wohl eher am Alter“, sagte Finnikin. Er streckte sich, um den Schmerz und die Steifheit aus seinen Gliedern zu vertreiben.
    „Du kämpfst gut. Wie die Yuts.“
    „Wir haben ein Jahr lang im Grasland gelebt. Damals war ich vierzehn.“
    „Und du musstest kämpfen?“
    „Die Leute dort haben sich über meinen Akzent lustig gemacht. Davon mal abgesehen: Wer so rote Haare hat wie ich, muss beizeiten lernen, sich zu wehre n – egal, wo er wohnt.“
    „Die Haare deiner Mutter hatten dieselbe Farbe. Wenn ich sie ansehe, bleibt mir jedes Mal das Herz stehen.“
    Finnikin war erstaunt, dass sich Trevanion einer so schmerzlichen Erinnerung überließ. Sein Vater hatte ja nicht nur eine, sondern gleich zwei Ehefrauen verloren. Und beide waren bei der Geburt ihrer Kinder gestorben.
    „Am besten, du bindest dir ein Tuch um den Kopf und versteckst deine Haare darunter. Die erregen nur Aufmerksamkeit.“
    Finnikins Haar war schon seit Monaten nicht mehr geschnitten worden und hing ihm inzwischen in langen, verfilzten Strähnen bis über die Schulter.
    Später, als sie im Dunkeln lagen, spürte Finnikin den Blick seines Vaters auf sich ruhen, und er fragte sich, ob er wohl ebenso ein Fremder für seinen Vater war wie dieser für ihn.
    „Sind deine neuen Freunde alle mit von der Partie?“, fragte Trevanion trocken.
    „Ich gehe davon aus. Aber ich kann nicht garantieren, dass sie uns nicht bei der erstbesten Gelegenheit den Hals umdrehen, wenn sie erst einmal frei sind.“
    „Sag ihnen Folgendes: Du wirst mit mir einen Streit vom Zaun brechen, damit die Wachen herbeikommen. Wenn wir Glück haben, dann sind es fünf, wie meistens. Ich knöpfe mir den Wärter mit den Schlüsseln vor, und du übernimmst den zweiten. Die ersten Sekunden entscheiden darüber, ob unser Plan klappt, wir müssen also schnell sein. Zwei Schwerter, fünf Sekunden. Der Yut am Ende der Kettenreihe soll sich das Schwert der Wache neben ihm schnappen und sich damit nützlich machen. Dem Charyniten und dem Mann aus Sarnak ist nicht zu trauen, sie dürfen weder den Schlüssel noch ein Schwert in die Finger kriegen. Wenn es hart auf hart kommt, dann benutze sie als Schild.“
    „Menschliche Schutzschilde?“
    „Sie würden mit uns dasselbe machen, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.“
    „Aber man kann doch die eigenen Verbündeten nicht als Schutzschild missbrauchen!“
    „Das wird kein Krieg, Finnikin“, sagte sein Vater kalt. „Das wird eine Hinrichtung.“
    Sir Topher schreckte aus dem Schlaf hoch. Aus einer Ecke des Dachbodens drang ein gedämpftes Geräusch. Er lauschte einen Augenblick, dann kam er zu dem

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