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Winterlicht

Winterlicht

Titel: Winterlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melina Marchetta
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Finnikin. „Wenn du für sie den Lockvogel spielen willst, werde ich dir folgen. Dann werden wir beide entweder in Stücke gerissen oder wir enden wieder in den Bergwerksgruben.“
    „Finn, hör zu!“ Trevanions Stimme war rau. „Ich habe gebetet, dich noch ein einziges Mal sehen zu dürfen. Mehr wollte ich nicht. Dieser Wunsch hat sich erfüllt. Geh du ostwärts, ich locke sie nach Westen.“
    „Tja, dann sitzen wir in der Klemme“, sagte Finnikin stur. „Denn ich habe gebetet, dass du alt und grau wirst und noch meine Kinder in deinen Armen wiegst. Mein Gebet ist noch nicht erhört worden. Welches Gebet hat also mehr Gewicht? Deines oder meines?“
    Trevanion starrte ihn ratlos an, dann hob er den Pickel auf und holte weit aus. Nach drei Versuchen blieb die scharfe Spitze endlich im Gestein stecken. Trevanion zog kurz an der Kette, um die Festigkeit zu prüfen, dann schubste er Finnikin zum Felsen, damit er hinaufkletterte.
    Finnikin begann mit dem Aufstieg, den Blick fest auf den Pickel gerichtet, so als könnte er ihn allein durch Willenskraft zum Steckenbleiben bewegen. Er spürte sofort, als auch Trevanion unter ihm zu klettern begann, denn die Kette spannte sich und war schwerer zu greifen.
    Als er oben angekommen war, streckte er die Hand nach seinem Vater aus und zog ihn unter großer Anstrengung zu sich hoch. Er verspürte einen scharfen Schmerz in seinem Ellbogen, aber er biss die Zähne zusammen und machte weiter. Rasch holten sie die Kette ein, damit ihre Verfolger sie nicht entdeckten.
    „Kopf nach unten!“, keuchte Trevanion.
    Sie rührten sich nicht, verharrten gegen den Fels geduckt, während unten die Hunde bellten und die Wachen einander etwas zuriefen. Finnikin wartete auf ein Zeichen seines Vaters. Aber erst, als alles wieder still war und Trevanion davon ausgehen konnte, dass man ihn auch aus der Entfernung nicht sah, richtete er sich auf und deutete auf einen Hügelpfad im Osten.
    „Aber der Schrein liegt doch i m …“, begann Finnikin.
    Trevanion ließ ihn nicht ausreden.
    „Tu, was ich dir sage“, befahl er.
    Später, als Finnikin seine Kräfte längst verausgabt hatte und im grellen Sonnenlicht schon doppelt sah, als Trevanion ihn mehr zur Schlucht hinuntertrug, als dass er ging, da glaubte er plötzlich, Regentropfen zu hören.
    Unvermittelt blieb Trevanion stehen. Finnikin sank erschöpft in die Knie. Von einem Berg vor ihnen schoss silberne Gischt in die Tiefe. Und hinter dem Wasserfall stand wie eine überirdische Erscheinung, der Schrein der Göttin Sagrami.
    Ohne lange zu überlegen, stand Finnikin auf, zog Hemd und Hose aus und stellte sich nackt unter den erfrischenden Strahl. Als er sich umdrehte, sah er, dass sein Vater den Wasserfall mit einem Ausdruck des Staunens betrachtete. Dann zog auch er seine Kleider aus, stellte sich neben Finnikin, legte den Kopf in den Nacken und breitete die Arme aus. Langsam drehte er sich zu Finnikin, nahm seinen Kopf in beide Hände und küsste ihn auf die Stirn wie ein Mann, der seiner Göttin Dank sagt für ihren reichen Segen. Und zum ersten Mal seit der Gefangennahme Trevanions ließ Finnikin seinen Tränen freien Lauf. Sie mischten sich mit Wasser, Blut und Schmut z – mit allem, was sie nie vergessen würden.
    In der Schlucht stand tatsächlich das Pferd aus Sarnak. Trevanion stieg in den Sattel und zerrte Finnikin an seinem verletzten Arm so unsanft zu sich hoch, dass er ihm fast das Gelenk auskugelte. Finnikin durchfuhr ein wilder Schmerz, aber er hielt sich fest, während sein Vater das Pferd nach Osten lenkte. An der Weggabelung folgten sie der Anweisung der Novizin und schlugen den Waldpfad ein.
    Trevanion legte ein zügiges Tempo vor, und es kostete Finnikin viel Kraft, sich auf dem Pferd zu halten. Den Blick stur nach vorn gerichtet, fragte er sich insgeheim, ob es die verlassene Hütte im Wald wirklich gab. Doch dann entdeckten sie das Gehöft. Am Tor standen Sir Tophe r … und Evanjalin.
    Trevanion war schon aus dem Sattel gesprungen, noch ehe das Pferd richtig stand. Er sprang zu Evanjalin und packte sie an der Kehle, sodass sie den Boden unter den Füßen verlor. Erst mit vereinten Kräften gelang es Sir Topher und Finnikin, ihn von ihr wegzuzerren.
    „Lass sie los, Trevanion!“, sagte Sir Topher. „Sie nützt uns lebend viel mehr als tot.“
    Es dauerte einen Moment, bis Trevanion der Aufforderung nachkam und die Novizin freigab. Evanjalin taumelte. Sie sah Finnikin an, aber er wich ihrem Blick aus.
    Trevanion

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