Winterlicht
landauf, landab, nach dem besten Platz“, sagte Sir Topher und lächelte in Erinnerung daran. „Sie hat uns alle ganz verrückt gemacht. Aber sie war guter Hoffnung mit ihrer Jüngsten, Isaboe. Das Kind war nicht mehr vorgesehen und die Schwangerschaft von Anfang an von Krankheit überschattet. Die Königin war überzeugt, wenn sie das Blütenkirschbäumchen einpflanzte und es sowohl der Göttin Lagrami als auch der Göttin Sagrami weihte, würde das Kind leben.“
Evanjalin nickte. „Viele Lumaterer waren nicht gerade glücklich über ihre Entscheidung, Sagrami eine Opfergabe darzubringen, aber schließlich fand die Königin den idealen Platz.“
„Eine hübsche Geschichte, aber ich weiß nicht, was das eine mit dem anderen zu tun hat“, knurrte Trevanion.
„Es gibt nur einen Blütenkirschbaum in Lumatere. Mindestens einen Tagesritt vom Palast entfernt, beim alten Kloster der Sagrami nahe der Grenze zu Sendecane.“
„Aber dieses Kloster wird schon seit Jahrhunderten nicht mehr benutzt“, sagte Sir Topher. „Worauf willst du hinaus, Evanjalin?“
„Ich glaube, dass während der Fünf Tage des Unsagbaren die Novizen der Sagrami, die am Waldrand lebten, durch das Osttor ins Königreich gebracht wurden.“
Sir Topher schüttelte den Kopf. „Du täuschst dich, Evanjalin. Die Priesterin der Sagrami war die Erste, die auf dem Scheiterhaufen brannte. Sie wurde zusammen mit Seranonna und drei anderen Seherinnen und Heilerinnen gefangen genommen.“
„Dann waren die Novizinnen ja ganz alleine“, sagte Finnikin. „Bestimmt hätten die Soldaten das Kloster im Wald zuallererst angegriffen?“
„Es wäre ein Blutbad gewesen“, sagte Trevanion. „Das älteste der Mädchen war gerade mal siebzehn.“
„Und sie hatten niemanden, an den sie sich wenden konnten?“, fragte Finnikin.
Sir Topher wollte verneinen, zögerte jedoch.
„Sir Topher?“, fragte Finnikin noch einmal.
„Vielleicht hat es doch jemanden gegeben“, antwortete er nachdenklich. „Jemand, der als Kind im Waldkloster lebte. Erzähl mir von der anderen Person, die mit euch durch die Träume geht und das Kind beschützt, Evanjalin.“
„Wer auch immer sie ist, sie versteht sich auf die dunklen Künste. Ich spüre ihre Verbindung zu den Toten, zu den Geistern.“
„Nur Seranonna besaß ein derartiges Wissen“, sagte Trevanion.
„Nein, es gab noch jemanden“, widersprach Sir Topher. „Jemand, der bei Seranonna gelernt hat.“
Trevanion runzelte die Stirn, dann dämmerte es ihm langsam. „Tesadora? Seranonnas Tochter?“
Sir Topher nickte. „Hast du sie gekannt?“
„Nein, aber Perri. Sie waren Todfeinde. Es war eine der wenigen Geschichten, die mir Perri von seiner Kindheit im Flussland erzählt hat. Sein Vater lehrte ihn schon von Kindesbeinen an, die Schwachen und Verachteten zu quälen.“
„Schämte Perri sich dafür?“
Trevanion seufzte. „Es war kein Geständnis, er berichtete nur von dem, was war. Ich erinnere mich noch an seine Worte. ‚Wie unterschiedlich unsere Kindheit doch war, Trevanion! Du bist mit deinem Boot den Fluss hinabgesegelt und hast Kaulquappen und Aale gefangen. Ich dagegen habe die Waldbewohner mit dem Kopf unter Wasser getaucht, weil ich herausfinden wollte, wie lange sie die Luft anhalten können.‘“
„Perri erzählte mir, dass Tesadora es einmal fünf Minuten lang aushielt“, fuhr Trevanion fort, „und danach immer noch genug Puste hatte, um ihm ins Gesicht zu spucken. Sein Vater verprügelte ihn, weil er eine Waldbewohnerin hatte triumphieren lassen. Also sorgte Perri das nächste Mal dafür, dass sie nach der Tortur nicht einmal mehr stehen konnte. Sie waren damals beide zwölf Jahre alt und Gegner. Und beide waren sie Opfer desselben Hasses.“
„Tesadora war kaum älter als du, Finnikin, da führte sie bereits das Leben einer Einsiedlerin im Wald“, sagte Sir Topher. „Ihre Kindheit verbrachte sie im Kloster der Sagrami, und abgesehen von ihrer Mutter waren die Novizinnen die einzigen, die sie auf der Welt kannte.“
„Waren die Frauen des Klosters Seherinnen?“, fragte Finnikin.
„Heilerinnen“, antwortete Sir Topher. „Die besten Kräuterkundigen, die ich je getroffen habe. Die Pflanzen im Waldkloster waren einzigartig. Hätte der Priesterkönig im Fieberlager solche Heilmittel besessen, dann wäre die Hälfte unserer Leute noch am Leben.“
Evanjalin rutschte näher, ihre Augen funkelten. „Die Novizinnen sind innerhalb der Mauern des Königreichs und sie
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