Winterlicht
Kerzenzieher, der es seltsam findet, dass er für Licht sorgt und trotzdem von Düsternis umgeben ist. Der Waffenschmied verachtet sich selbst, weil er für den Thronräuber und seine Soldaten Waffen herstellt, die gegen seine eigenen Landsleute gerichtet werden. Ich bin durch den Schlaf eines Ackerbauern und eines Hufschmieds gewandelt, habe einen Gerber und einen Weber besucht, einen Kaufmann und eine Kinderfrau. Am liebsten bin ich bei den Kleinen, denn sie verstehen es noch zu träumen. Sie träumen von der Rückkehr des Königs und glauben fest daran, dass der Hauptmann der Garde ihn nach Lumatere zurückbringen wird.“
Trevanion schüttelte den Kopf und wandte sich zum Gehen.
„Sie schöpft ihre Kraft aus der Erinnerung an Euch“, sagte Evanjalin plötzlich.
„Was?“, polterte Trevanion, aber Evanjalin wich keinen Handbreit zurück. „Von wem redest du?“
„Von Beatriss.“
Finnikin hörte ihn aufstöhnen und stellte sich Trevanion rasch in den Weg, ehe er auf Evanjalin losgehen konnte.
„Beatriss is t …“
„Wage es nicht, ihren Namen zu nennen! Wage es nicht, ihr Andenken zu beschmutzen!“, brüllte er.
Evanjalin ließ sich von seinem Zorn nicht beeindrucken. „Manchmal quälen sich die Menschen im Schlaf mit den Entscheidungen herum, die sie gefällt haben, manchmal schwelgen sie in der Vergangenheit. Beatriss macht beides. Ich bin überzeugt, es war Beatriss, die durch den Nebel der dunklen Magie einen Weg zu mir gefunden hat.“
„Du lügst, um mich zu peinigen!“
„Es reicht, Evanjalin“, sagte Sir Topher. „Beatriss ist tot.“
Trevanion zuckte bei diesen Worten zusammen wie unter einem Peitschenschlag, aber Evanjalin sprach weiter.
„Meistens jedoch ist sie ruhelos. Sie sorgt sich um so viele Menschen, und sie fragt sich, wie sie ihre Aufgabe bewältigen soll. Sie war doch stets nur Beatriss die Schöne oder Beatriss die Anbetungswürdige. Aber dann erinnert sie sich an das, was Ihr, Hauptmann Trevanion, ihr so oft ins Ohr geflüstert habt. Beatriss die Kühne habt Ihr sie genannt. Beatriss die Tapfere. Alle anderen sahen in ihr eine zerbrechliche Blume, aber Ihr nicht.“
Finnikins Hand lag noch immer auf Trevanions Brust; er spürte, wie dessen Herz raste.
„Sie denkt an die Nächte zurück, in denen Ihr bei ihr lagt und sie Angst hatte, Euch könnte etwas zustoßen. ‚Was mache ich nur ohne dich?‘, klagte sie. Wisst Ihr noch, was Ihr darauf geantwortet habt, Hauptmann? ‚Du tust, was du tun musst, Beatriss.‘“
Trevanion schüttelte wie betäubt den Kopf.
„Ihr fragt Euch, warum ich so wenig über die Träume erzähle?“, fuhr Evanjalin fort. „Das liegt daran, dass sie meistens düster sind. Die Seelen der Schlafenden sind traurig und unsere Göttin weint verzweifelt um ihre Kinder. Doch Beatriss die Schöne ist jetzt eine Gärtnerin. Jahr für Jahr sät und pflanzt sie, und Jahr für Jahr zerstören die Soldaten des Thronräubers ihre Ernte. Aber Beatriss die Schöne sät und pflanzt immer wieder aufs Neue.“
Es folgte eine Stille, die niemand zu durchbrechen wagte.
Dann stieß Trevanion Finnikins Hand beiseite. „Du weißt Dinge, die nur ich allein wissen kann.“
„Nein, Hauptmann, Ihr irrt Euch. Ich weiß Dinge, die Eure Vorstellungskraft übersteigen. Dinge, die nicht einmal ich selbst verstehe. Aber mein Herz sagt mir, dass wir nach Norden gehen müssen. Tag und Nacht, ob ich wache oder schlafe, sagt mir eine innere Stimme, dass in Lumatere Leben ist, dass die Menschen dort auf uns warten.“
Trevanion holte keuchend Luft und ging zum Ausgang des Zeltes. Finnikin ließ es zu, obwohl er so gerne zu seinem Vater gegangen wäre und ihn angefleht hätte mitzukommen. Obwohl er ihm so gerne Trost gespendet hätte. Aber er wusste nicht wie.
„In Yutlind gibt es ein Felsendorf, in dem sich angeblich die Königliche Garde aufhalten soll. Im Süden.“
Finnikins Schultern sackten herab. „Vater, bitt e …“
„Ich werde nicht ohne meine Männer nach Lumatere zurückkehren.“
Evanjalin schluchzte vor Erleichterung. Sie flog in Trevanions Arme, ehe sie sich besann und sich von ihm löste. Sie fiel vor ihm auf die Knie, aber Sir Topher eilte zu ihr und zog sie wieder hoch.
„Ihr werdet es nicht bereuen“, sagte sie an alle Umstehenden gewandt. „Das verspreche ich bei meinem Leben.“
Vier Tage später traten sie ihre Reise mit dem Priesterkönig und den Flüchtlingen an. Einige wenige blieben im Fieberlager, um die Kranken zu versorgen,
Weitere Kostenlose Bücher