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Winterlicht

Winterlicht

Titel: Winterlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melina Marchetta
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um nach Finnikin zu sehen.
    „Deine Worte waren harsch“, sagte er leise.
    „Er kann diese Reise nicht ohne mich an seiner Seite vollenden.“
    „Dennoch waren deine Worte harsch. Niemand gibt etwas für nichts. Nicht in diesem Land. Aber genau das sah Finnikin als seine Aufgabe an: von einem Flüchtlingslager zum nächsten zu reisen, von Königreich zu Königreich, und sich darum zu kümmern, dass unser gottverlassenes Volk zu essen bekommt und es ihm halbwegs gut geht. Und zugleich drehten sich Finnikins Gedanken Tag für Tag darum, wie er die Freilassung seines Vaters erreichen könnte. Es war ein trauriger Tag für ihn, als er erkannte, dass er nicht einfach nur der Sohn seines Vaters war, sondern auch eine Verantwortung gegenüber seinem Volk besaß.“
    Sie schloss die Augen. „Unser Volk war nie gottverlassen“, verbesserte sie ihn, „und er ist der Schüler des Obersten Ratgebers des Königs. Euer Schüler. Ihr habt darauf bestanden, seinen Unterricht in Sprachen und Landeskunde fortzusetzen. Nicht nur damit er für die Vertriebenen sorgen kann, sondern weil er eines Tages als Euer Schüler vielleicht helfen muss, sie anzuführen.“ Sie blickte hinüber zu Finnikin, der an der Seite seines Vaters stand. „Er ist zu Größerem ausersehen, als in der Garde des Königs zu dienen, und sein Vater weiß das. Seht zu, Sir Topher, dass Finnikin seine Rolle akzeptiert, bevor wir vor das Haupttor von Lumatere treten.“
    Trevanion betrachtete den schlafenden Finnikin. Anders als in den Nächten im Bergwerk konnte er das Antlitz seines Sohnes unter dem erleuchteten Himmel deutlich vor sich sehen; es war ein Luxus, ihn so in Ruhe betrachten zu können. Finnikins Gesicht glich dem seiner Mutter, er hatte ihren Teint und ihre Haarfarbe. „Ein Königreich, aber so viele Farben“, hatte Bartolina oft gesagt und ihre Hand in Trevanions Hand gelegt. Dann war sie plötzlich nicht mehr da und auf Finnikins Geburt folgten Tage voller Benommenheit. Ein mutterloser Junge, der in einer Männerwelt groß werden musste. Trevanion dachte an seine Männer und fragte sich, wo sie wohl waren. Er kannte die meisten von ihnen, seit er in Finnikins Alter gewesen war. Vor fast zwanzig Jahren hatte er sie persönlich für die Garde ausgewählt und nur solche genommen, denen er das Leben aller Lumaterer anvertrauen konnte, auch das seines neugeborenen Sohnes. Am Anfang wurden Zweifel an seiner Auswahl laut, besonders als es um Perri den Wilden ging. Es hieß, Perri hätte schon im Alter von zwölf Jahren einen Menschen umgebracht.
    Als Perri dem zwanzigjährigen Trevanion an der Flussböschung in der Nähe seiner Hütte im Moor feindselig entgegengekommen war, hatte der Hauptmann ihn aufgefordert: „Schließ dich uns an.“
    „Ich bin hier derjenige, der sagt, wo’s langgeht“, hatte Perri drohend geantwortet und die Schwertspitze an Trevanions Brust gedrückt. Quer über seine Stirn lief eine Narbe. Seine Augen waren dunkel wie die des Hauptmanns, aber seine Haut war milchweiß.
    „Der Leichnam meiner Frau ist noch nicht kalt in ihrem Grab“, hatte Trevanion leise gesagt. „Keine fünf Tage ist es her, dass sie von uns gegangen ist. Wenn du mich davon abhalten willst, nach Hause zu meinem neugeborenen Sohn zu gehen, werde ich dich töten.“ Dann ging er weiter zu seinen Männern, die bei Augustin aus dem Tiefland standen.
    „Ich werde mitkommen, nur um zu sehen, wo du wohnst“, knurrte Perri der Wilde.
    Als sie Trevanions Hütte weiter oben am Fluss betraten, kümmerte sich gerade ein Mädchen um den Säugling. Es war die schlagfertige Tochter eines Fischhändlers.
    „Hast du den Verstand verloren, Trevanion?“, rief sie und drückte das Kind an sich. „Du bringst Perri den Wilden nach Hause, statt dich um deinen Goldjungen zu kümmern? Sein Vater ist ein Trunkenbold! Ein Frauenschänder! Ein Mörder!“
    Trevanion nahm das winzige Kind und hielt es in seinen großen Händen. Er sah die Bitterkeit in Perris Augen, die Schmach darüber, dass er seine Herkunft nicht abstreifen konnte. Trevanion deutete auf Augustin aus dem Tiefland. „Sein Vater ist schwach, hinterlistig und faul, und dennoch würde ich ihm mein Leben anvertrauen.“
    Sie blickte verächtlich zu Augustin. „Ihm? Eine feine Truppe ist das, die du da zusammenstellst, Trevanion.“
    „Geh nach Hause, Abie, bevor es dunkel wird. Es ist nicht sicher für dich, allein unterwegs zu sein“, sagte Trevanion seufzend.
    „Vielleicht sollte ich sie nach Hause

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