Winterlicht
Moment stürzte der Matrose vom Mast, direkt vor Finnikins Füße. Ein Pfeil steckte in seiner Brust und aus seinem Mund rann Blut.
„Wende das Segel“, stöhnte der Mann. „Klettere den Mast hinauf und dreh es um, sonst seid ihr alle verloren.“
Finnikin blickte zum Mast hinauf und wieder zurück zu den Yuts, dann begann er zu klettern. Mindestens sechs feindliche Krieger hatten inzwischen das Schiff erreicht. Trevanion und die Mannschaft stellten sich ihnen entgegen. Einer der Yuts, der es geschafft hatte, an Bord zu kommen, kippte nach einem Hieb auf den Kopf nach hinten zurück ins Wasser. Trevanion stand auf, zielte, schoss und duckte sich wieder. Dabei gab er Befehle, teilte die Mannschaft in drei Gruppen: die Ruderer, die Bogenschützen und jene, die versuchen sollten, die Yuts noch im Wasser abzuwehren. Von seiner hohen Warte aus entdeckte Finnikin etwas, was ihm bisher verborgen geblieben war: In den Bäumen hingen lauter Totenköpfe. Am Westufer kamen noch mehr Yuts aus dem Dschungel. Sie waren groß und sehr angrifflustig.
Er kletterte bis ganz noch oben und setzte sich rittlings auf die Rahe, während er fieberhaft versuchte die Segel zu lösen. Evanjalin, Froi und Sir Topher hatten mittlerweile das Ostufer erreicht und sich zwischen hohem Schilf und Farnen versteckt. Trevanion und drei Matrosen überwältigten die letzten Yuts an Bord, und Finnikin beobachtete, wie sein Vater zur Reling kroch und sich über Bord schwang. Finnikin hielt sich mit beiden Armen am Mast fest. Er hatte das Gefühl, als streiften ihn die Pfeile, die an ihm vorbeisausten. Dann sah er, wie Trevanion den Kopf aus dem Wasser streckte und zu den anderen schwamm. Zum ersten Mal, seit der Kapitän tot vor seinen Füßen zusammengebrochen war, atmete Finnikin erleichtert auf.
Trevanion spie das schmutzige Wasser aus, während er sich die schmerzende Seite hielt. Die anderen drei wurden von einem dicken Büschel Gräser im Sumpfwasser verdeckt. Sie zitterten am ganzen Leib, aber vorerst waren sie in Sicherheit, mehr konnte man im Augenblick nicht verlangen. Trevanions Aufgabe war es jetzt, seine Gefährten flussabwärts zu führen, egal wie gefährlich es war.
„Lasst uns gehen. Wir haben keine Zei t … Finn?“ Der Hauptmann drehte sich um. „Wo ist er?“ Er sah Evanjalin an, überzeugt, dass sie es wüsste. Das Mädchen und Finnikin schienen einander nie aus den Augen zu verlieren. Sie starrte über seine Schulter; ihre dunklen Augen waren weit aufgerissen und ihre Hand zitterte, als sie nach oben deutete. Trevanion wirbelte herum und sah, wie die Myrinhall zur Wende ansetzte und Kurs auf die Flussmündung nahm. Wer von der Mannschaft noch in der Lage war, schoss Pfeile auf die Yuts am gegenüberliegenden Ufer ab. Zwei oder drei Yuts hielten sich noch am Bootsrumpf auf. Dann wurde sein Blick magisch angezogen von Finnikin, der am Mast hing und dessen wild zerzaustes rotgoldenes Haar in der hellen Sonne leuchtete. Das Innehalten der Yuts bewies, dass auch sie von dem Anblick verzaubert waren: als sei Finnikin ein verwegener Sonnengott, der auf sie herabspähte. Dann zielten die Yut s – und Finnikin fiel vom Himmel.
Trevanion betete, dass die Mannschaft der Myrinhall den Jungen aus dem Wasser fischen und sich seiner annehmen würde, aber niemand rührte sich. Finnikin trieb mit dem Gesicht nach unten im Fluss, ein Pfeil steckte in seiner Seite.
Evanjalin sprang auf und wollte zum Fluss rennen, doch Trevanion hielt sie zurück; seine Hand erstickte ihren Schrei. Sie machte sich von ihm los und fing an zu weinen. Ihr Schluchzen rührte ihn umso mehr, als sie ihm bislang immer so unverwundbar erschienen war.
„Wir warten, bis sie weg sind“, flüsterte Sir Topher, als die Myrinhall weiter flussaufwärts segelte und ihnen den Blick auf die Yuts versperrte, nicht jedoch auf den leblosen Finnikin.
„Nein“, sagte das Mädchen. „Wir müssen ihn retten, und zwar sofort. Die Yuts beten den Sonnengott an. Sie werden Finnikin so schnell wie möglich holen.“
Trevanion hatte sich bereits wieder in den Fluss gestürzt. Er schwamm mit vollem Körpereinsatz, klatschte auf das Wasser, als wollte er es bestrafen, weil es ein Hindernis zwischen ihm und seinem Sohn war. Die Myrinhall war gerade auf der Höhe Finnikins und mit etwas Glück würde das Schiff den Yuts den Blick auf Vater und Sohn versperren. Der Hauptmann wusste: Er hatte nur sehr wenig Zeit. Würden die Yuts das Versteck am Ufer entdecken, so würden sie sofort
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