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Winterlicht

Winterlicht

Titel: Winterlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melina Marchetta
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gegen Trevanion sackte.
    Im Morgenlicht war Evanjalin kaum wiederzuerkennen. Schlamm klebte an ihren Kleidern und ihr Gesicht war geschwollen. Die Mücken hatten während der langen Stunden, die sie im Wasser stehend verbracht hatte, einen Festschmaus gehalten. Manche der Stiche hatte sie blutig gekratzt.
    Als zwischen den Bäumen Umrisse erschienen, richtete Evanjalin sich auf. Die Gestalten wirkten geisterhaft, ihre Augen waren blass, Gesicht und Körper so weiß, dass Evanjalin zuerst dachte, sie seien bemalt. Sie kamen von allen Seiten aus dem Dschungel, und es waren so viele, dass man sie nicht zählen konnte.
    Ihr Anführer starrte Evanjalin mit ausdrucksloser Miene an. Die beiden Männer, die nun vor ihr standen, waren tatsächlich Vater und Sohn. Anders als Finnikin und Trevanion waren sie genaue Abbilder voneinander. Als der Häuptling Evanjalins Arm packte, machte Trevanion einen Schritt auf ihn zu, aber sie hielt ihn zurück.
    Und dann sprach der Häuptling. Die Worte klangen rau, fast feindselig, aber ihre Melodie verriet Finnikin, dass Evanjalin nicht in Gefahr war.
    Der Häuptling gab einen Befehl, woraufhin zwei Krieger zu dem Versteck im Schilf stapften. Wortlos gingen sie an Froi und Sir Topher vorbei und packten Finnikin. Während einer der Männer Finnikins Mund aufzwang, hielt der andere einen Wasserbeutel an seine Lippen. Finnikin trank so gierig, dass er sich beinahe verschluckte. Dann fiel sein Kopf nach hinten. Schweigend hoben die Krieger Finnikin hoch und trugen ihn fort.
    „Evanjalin?“, hörte er Sir Topher erschreckt rufen.
    Dann lag Finnikin in den Armen seines Vaters. Trevanion setzte ihn vorsichtig auf dem Boden ab. Evanjalins Gesicht tauchte über ihm auf, dann das des Häuptlings.
    „Sie wollen dir nichts Böses“, versuchte sie ihn mit leiser Stimme zu beruhigen.
    Einer der Männer reichte ihr den Wasserbeutel. Der Häuptling musterte die Fremden alle nacheinander, doch sein Blick kehrte immer wieder zu Trevanion und Finnikin zurück.
    „Das Sklavenmädchen erzählte mir, dass die Yuts aus dem Süden von denen aus dem Norden für Schwächlinge gehalten werden“, sagte Evanjalin. „Ihr müsst nämlich wissen, dass die Nordländer einst die Kriegersöhne entführten und sie als Geiseln hielten. Statt das Königreich zu verteidigen, machten sich die Südländer auf die Suche nach ihren Söhnen. Manchen galt es als Schwäche, die Sicherheit des Königreichs und den Thron aufzugeben, nur wegen eines Kindes. Also erzählte ich ihnen die Geschichte des Hauptmanns der Königlichen Garde, der einen nicht begangenen Verrat eingestand und sich in die Gruben von Sorel einsperren ließ, nur um seinen Sohn zu retten, der ihn wiederum zehn Jahre später befreite.“
    „Ein Wort hast du immer und immer wieder gesagt. Majorantai“ , stieß Finnikin hervor, als sie seine Stirn mit Wasser abtupfte.
    „Das Sklavenmädchen“, antwortete sie leise.
    „War sie eine von ihnen?“, fragte Trevanion.
    „Nein. Wahrscheinlich gehörte sie zu einem anderen Stamm“, antwortete Evanjalin. „Aber sie war aus dieser Gegend. Man hat sie entführt und auf einem Handelsschiff nach Sorel gebracht.“
    Der Häuptling sagte etwas und Evanjalin nickte. „Sie möchten, dass wir ihnen folgen und uns ausruhen“, erklärte sie.
    „Können wir ihnen trauen?“, fragte Trevanion.
    „Wenn sie uns töten wollten, hätten sie es längst getan.“
    „Was hast du ihnen erzählt, Evanjalin?“, fragte Finnikin.
    „Nur die Wahrheit“, antwortete sie leise. Zu Sir Topher sagte sie: „Lumatere muss den Süden aber offiziell als eigenständiges Territorium anerkennen.“
    „Aber wer hat denn im Süden das Sagen?“, fragte Sir Topher.
    „Ich vermute, das werden wir bald herausfinden“, erwiderte Evanjalin.
    Finnikin versuchte mit aller Macht, seine Augen offen zu halten. Das Gesicht eines jungen Geistkriegers tauchte an Evanjalins Seite auf. Der Krieger sagte etwas und reichte ihr ein Behältnis, worauf sie nickte.
    „Haltet ihn fest. Lasst ihn nicht los“, hörte er sie leise sagen.
    Zahllose Hände drückten ihn nach unten, als Evanjalin etwas Zähflüssiges in seinen Mund goss. Es gurgelte laut, und Finnikin bäumte sich auf, sein ganzer Körper zuckte in Abwehr. Da streckte einer der Krieger die Hand aus und drückte seine Finger fest in die Pfeilwunde, bis Finnikin das Bewusstsein verlor.
    Als Finnikin erwachte, war es dunkel. Er lag nicht länger mitten auf der Lichtung. Die Geräusche der Nacht drangen

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