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Winterlicht

Winterlicht

Titel: Winterlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melina Marchetta
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an sein Ohr, vermischten sich mit dem Kreischen und Stöhnen der Geister aus der Vergangenheit. Das waren nicht die vertrauten Geräusche der nördlichen Wälder. Dies war ein uraltes Land. Finnikin meinte, den eisigen Atem der Vorfahren auf seinem Gesicht zu spüren.
    „Evanjalin!“, flüsterte er mit trockenen Lippen. Er hörte ein Rascheln, dann hielt sie ihm einen Wasserbeutel an den Mund.
    „Hast du Schmerzen?“, fragte sie.
    „Mir macht eher die Übelkeit zu schaffen“, stieß er hervor. „Wie lange habe ich geschlafen?“
    „Den ganzen Tag und die Hälfte dieser Nacht. Sir Topher und Froi schlafen auch.“
    „Und mein Vater?“
    „Geht auf und ab.“
    „Und die Geistkrieger?“
    „Beobachten dich. Das ist ihre Siedlung. Ihre Frauen und Kinder leben flussaufwärts.“
    Finnikin richtete sich auf und sah Hunderte von bleichen Gestalten um sie herum.
    „Sie bewachen dich, bis dein Körper sich von den bösen Geistern aus dem Fluss befreit hat.“
    „Also kam das Böse wohl nicht vom Pfeil in meiner Seite?“, fragte er trocken.
    „Deine Wunde ist nur oberflächlich. Aber die Entzündung hätte dich binnen eines Tages getötet.“
    Sie wischte über seine Stirn und wieder musste er gegen die Müdigkeit ankämpfen. „Erzähl mir von dem Sklavenmädchen“, bat er schläfrig.
    Evanjalin schwieg, und einen Augenblick lang dachte er, sie würde nicht antworten.
    „Als ich zehn war“, sagte sie schließlich, „wurde ich von meinen Leuten getrennt und verbrachte mehr als ein Jahr an dieses Mädchen gekettet in einer Fußbodennische eines Hauses. Wir waren die Sklaven eines reichen Händlers, der Menschen kaufte und verkaufte wie Getreide oder Haushaltsgegenstände. Tagsüber arbeiteten wir im Bergwerk und abends wurden wir wieder zu ihm zurückgebracht. Sie sorgte für meine Sicherheit. ,Kleine Schwester der lichten Erde‘ nannte sie mich. Es war, als hätte die Göttin selbst sie geschickt, um mich zu beschützen. Nachts lehrte sie mich ihre Sprache und ich sie die meine. Ihre Haut war eigenartig blass, fast wie die der Krieger hier, und das galt auch für ihre Augen. Deshalb sind diese Menschen von dem Rotgold deiner Haare so fasziniert, Finnikin.
    Sie hat mir viel über die Bräuche der Yuts erzählt. Wenn jemand fern von Yutlind Süd stirbt, muss sein Name von der letzten Person, die seine Stimme hört, zurück in das heimatliche Königreich gebracht werden. Er muss hinausgerufen werden, damit die Geister ihn in ihren Mündern bewahren und zurück ins Land blasen. Solange das nicht geschieht, würde der Geist des Toten niemals Ruhe finden. Wir wussten damals, dass wir unsere Heimat nie wiedersehen würden. Und so beschloss das Yut-Mädchen, unseren Tod zu planen, wenn wir schon keine Pläne fürs Leben machen konnten.“
    In der Stille hörte er, wie sie schluckte.
    „Eines Tages drückte mir Majorantai eine Blume in die Hand. Es war selten, dass man an diesem Ort etwas so Schönes zu sehen bekam, und ich musste weinen. Aber es war eine hochgiftige Pflanze. Einer der Wachen im Haus hatte sie beschafft im Austausch für etwas, worüber sie nicht mit mir reden wollte. ‚Heute Nacht werden wir unsere Heimat wiedersehen, kleine Schwester‘, sagte sie. ‚Versprich mir, dass du sie heute Nacht noch benutzen wirst, denn ich kann dich nicht allein an einem solchen Ort zurücklassen. Versprich es!‘ Und so versprach ich es.“
    „Und letzte Nacht hast du ihren Namen in ihre Heimat zurückgebracht, damit die Geister ihn bewahren können?“, fragte er.
    Evanjalin nickte und beide schwiegen sie für eine Weile.
    „Ich bin froh, dass du dein Versprechen, das Gift zu nehmen, nicht gehalten hast“, sagte Finnikin leise. „Hattest du denn nie ein schlechtes Gewissen?“
    „Ich habe keinen Grund für ein schlechtes Gewissen“, sagte sie scharf. „Ich habe mein Versprechen gehalten. Oh ja, das Gift wurde genommen, Finnikin. Ich achtete darauf, dass es jemand nahm, der es verdient hatte.“

Kapitel 14

    A ls Trevanion seinen Sohn wach rüttelte, war es bereits Morgen und die Geistkrieger waren bis auf einen alle fort.
    „Wann sind sie denn weg?“, fragte Finnikin matt und schirmte die Augen gegen das blendende Sonnenlicht ab.
    „Vor zwei Tagen.“
    „Vor zwei Tagen! Ich habe zwei Tage durchgeschlafen?“
    „Dafür siehst du auch wieder etwas besser aus“, sagte Trevanion. „Leider müssen wir jetzt aufbrechen.“
    Finnikin stützte sich ab, um aufzustehen, aber die schnelle Bewegung verursachte

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