Winterlicht
Finnikin!“
„Wenn dein Gegner eine Axt gehabt hätte, dann stündest du jetzt auf Beinstümpfen da, Aldron!“
„He! Froi! Mach dich nützlich und schaff Verbände herbei!“
Finnikin kämpfte verbissen, um von den anderen anerkannt zu werde n – eine Anstrengung, die er in den vergangenen zehn Jahren nie nötig gehabt hatte. Sir Topher hatte nicht mit Lob gespart, egal ob es um Finnikins gutes Gedächtnis ging oder darum, wie viel Lerneifer er an den Tag legte. Aber jetzt wollte Finnikin der Garde beweisen, dass er es wert war, einer der ihren zu sein. Er wollte geachtet werden, nicht nur als Sohn des Hauptmanns, sondern wegen seiner Fähigkeiten.
Daher war er im Morgengrauen lange vor den anderen auf dem Übungsplatz und seine Finger bluteten von dem ständigen Gebrauch von Pfeil und Bogen. Tagsüber nahm er sich kaum die Zeit, zu essen und zu trinken, stand stets als Partner für den Schwertkampf bereit, obwohl seine Glieder schmerzten. Besonders unermüdlich übte er mit der Glefe, denn er wusste, die Stangenwaffe war seine Schwachstelle. Es kümmerte ihn auch nicht, wenn seine Gegner jedes Mal zusammenzuckten, wenn er den Pfosten traf. Eifrig nahm er sich jeden Tadel zu Herzen und bemühte sich, es besser zu machen.
Am Ende der ersten Woche tat ihm jeder Knochen im Leib weh und er hatte nur noch einen Wunsch: auf sein Lager zu sinken und zu schlafen. Neben ihm sammelte Froi die Übungsschwerter ein und grummelte vor sich hin. „Mach dich nützlich, Froi!“, äffte er die Soldaten nach. „Los, Froi! He, Sklave!“
Finnikin beobachtete mit gemischten Gefühlen den Sprachunterricht, den der Junge bekam, denn er beinhaltete auch sämtliche Flüche aus dem Repertoire der Königlichen Garde. Sein Blick wanderte zum Balkon, auf dem Evanjalin mit übergeschlagenen Beinen saß, den Kopf auf die Brüstung gestützt.
„Im Kampf müsst ihr mehr als nur die Waffe einsetzen“, sagte Trevanion. „Ihr müsst mit dem Herzen bei der Sache sein.“
„Der Körper muss von ganz alleine wissen, was er zu tun hat“, rief Perri.
„Finnikin, nicht so fest“, sagte Moss. „Halte das Schwert so, wie du es dir von einer Frau wünschst, wenn sie deine n …“
Finnikin hörte ein lautes Räuspern und einer der Männer deutete vielsagend zum Balkon.
„Tut mir leid, Evanjalin“, murmelte Moss verlegen und winkte ihr zu.
Evanjalin verbrachte Stunden damit zuzuschauen, denn mitmachen durfte sie ja nicht. Auch wenn sie in den vergangenen Monaten mehr als einmal ihre Stärke unter Beweis gestellt hatte, bestand Sir Topher darauf, dass sie sich von jeder Gefahr fernhielt. Finnikin fand, dass der alte Mann sie eher wie ein kostbares Juwel behandelte als wie ein Mädchen, das auf sich selbst aufpassen konnte. Aber ihm war auch aufgefallen, dass die Männer viel angriffslustiger waren, sobald Evanjalin ihnen vom Balkon aus zusah, besonders die jüngeren. Auch Finnikin selbst war sehr zufrieden gewesen, als er an diesem Morgen Aldron aus dem Flussland vor ihren Augen besiegt hatte, indem er ihm mit dem Faustschild einen Schlag auf die Ohren versetzt hatte. Als es dann zu der vierten ernsthaften Verletzung an diesem Tag kam, schritt Trevanion ein.
„Froi, mach dich nützlich und sag Evanjalin, dass Sir Topher mit ihr einen Spaziergang unternehmen möchte. Einen sehr langen Spaziergang.“
Aber am Abend, als die meisten Mitglieder der Garde bereits Schluss gemacht hatten, war sie wieder da. Finnikin spürte ihren Blick auf sich. Als er sie ansah, bemerkte er sofort ihre schlechte Laune. Seufzend ließ er das Übungsschwert fallen, schwang sich auf das Spalier und kletterte über die Brüstung auf den Balkon, wo sie regungslos im Mondschein saß. Ihre goldene Haut schimmerte geheimnisvoll in dem matten Licht. Der Anblick verschlug ihm den Atem.
Finnikin balancierte auf dem Rankengitter und stützte die Arme auf das Holzgeländer. „Was ist?“, fragte er.
„Entschuldigung, wie bitte?“
„Von wegen Entschuldigung. Sag mir endlich, was mit dir los ist!“
Sie starrte ihn an und seufzte. „Was erwartest du von mir, Finnikin? Soll ich dir bestätigen, dass du ebenso gut bist wie die anderen? Vielleicht wirst du einmal der beste Krieger in ganz Lumatere sein. Aber dein Platz ist nicht in der Königlichen Garde, sondern bei Hofe.“
Er schüttelte den Kopf. „Du irrst dich. Als Kinder haben Balthasar und ich davon geträumt, dass er König und ich Hauptmann werden würde, so wie es bei unseren Vätern
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