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Winterlicht

Winterlicht

Titel: Winterlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melina Marchetta
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„Und wir ernähren sie gut.“
    Finnikin sah unverhohlene Wut in den Augen einiger junger Männer, und er fragte sich, wie diese Sache wohl ausgehen würde.
    Der Vater des Mädchens kam drohend auf ihn zu. „Kehrt um und lasst uns in Frieden“, sagte er scharf. „Ich schlage vor, ihr kümmert euch um eure Angelegenheiten, und wir kümmern uns um unsere. Andernfalls wird es euch leidtun.“
    „Ihr habt Eure Vorschläge gemacht, mein Herr.“ Evanjalins Stimme hallte weit durch die Nacht. „Nun, hier sind meine: Ich schlage vor, dass Ihr mit Euren Leuten sprecht und nichts verschweigt. Ich schlage vor, dass Ihr Euren Männern, Frauen und Kindern erzählt, was in jenen Fünf Tagen des Unsagbaren geschehen ist. Ihr solltet ihnen gestehen, wie wenig Ihr unternommen habt, als man Eure Nachbarn aus ihren Häusern vertrieben und niedergemetzelt hat. Und verschweigt nicht den Kummer, den Ihr all die Jahre darüber verspürt habt. Und ich schlage vor, alle verzeihen einander. Aber vor allem solltet Ihr die einzige und wahre Göttin bitten, Euch zu verzeihen, dass Ihr Euren Kindern dieses traurige Erbe hinterlasst. Denn sie werden Eure Unzufriedenheit und Euren Kummer immer mit sich herumtragen. Und auf diesem kahlen Streifen Land, den Ihr Euch zum Leben ausgesucht habt, werden sie auch sterben, und nichts als Wut wird in ihren Herzen sein. Ich sage Euch, mein Herr, hört auf, stolz auf Eure Verbannung zu sein. Hört auf, sie wie ein Ehrenzeichen vor Euch herzutragen.“
    Zum Priesterkönig gewandt sagte sie: „Euer Platz ist bei uns, verehrungswürdiger Barakah. Ihr müsst mit uns zu Eurem Volk reisen. Und zwar jetzt.“
    Der heilige Mann fing an zu weinen. Finnikin fragte sich, was wohl schlimmer für ihn war: zuzusehen, wie sein Volk starb, oder das Gefühl zu haben, es im Stich zu lassen. Aber als ihm Evanjalin die Hand reichte, zögerte er keinen Augenblick, sie zu ergreifen.
    Sie setzten ihren Weg fort, und bald hatte der nächtliche Trubel das kleine Reich aus drei Fuhrwerken, bewohnt von namenlosen Kindern, verschluckt. Finnikin sah, dass sich Evanjalin einmal umdrehte. Zweimal. Dreimal.
    Später, als sie mitten in der Nacht auf der Küstenstraße weiterzogen und der Priesterkönig mit Trevanion vorneweg ritt, hörte Finnikin, wie Evanjalin immer wieder dieselben Worte vor sich hin flüsterte.
    Bring mich nach Hause, Finnikin. Ich flehe dich an, bring mich nach Hause.

Kapitel 18

    K ann ich Euch vertrauen, Lord Augustin?“
    Lord Augustin aus dem Tiefland wachte auf, weil ihm jemand mit der Hand den Mund zuhielt und einen Dolch an die Kehle drückte.
    Das Gesicht des Eindringlings war das eines Wilden, kaum etwas darin erinnerte an die jugendliche Unschuld, die Finnikin von den Felsen einst besessen hatte.
    Lord Augustin war zwar untröstlich, aber falls Trevanions Sohn seiner Familie auch nur ein Haar krümmen sollte, würde er ihn, ohne zu zögern, töten. Doch dann fiel ihm auf, dass er nicht nur Finnikin und seinem Dolch ausgeliefert war. Im fahlen Mondlicht, das durch das Fenster der Seitenkammer hereinfiel, sah er die Umrisse von mindestens drei weiteren Männern. Seine Frau neben ihm schlief tief und fest.
    „Ach, Finnikin“, murmelte er. „Was hast du getan?“
    „Noch nichts. Und jetzt beantwortet meine Frage.“
    Lord Augustin packte Finnikin bei seinen zerzausten Haaren und zerrte ihn zu sich herunter. „Du schleppst irgendwelche Unholde in mein Haus“, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen, „hältst mir einen Dolch an die Kehle, während neben mir meine Frau liegt und im Nachbarzimmer meine Kinder schlafen, und du erwartest von mir, dass ich dir vertraue?“
    „Ist das ein Ja?“, fragte Finnikin und befreite sich aus dem festen Griff des Lords.
    Lord Augustin stand auf und versuchte einen Blick auf die Männer nebenan zu erhaschen. „Ich bereue von Herzen, dass ich dich nicht aus Freundschaft zu deinem Vater in meinem Haus aufgenommen habe. Wenn der Hauptmann dich jetzt so sähe, ihm würde das Herz brechen.“
    Lord Augustin war klein, aber das würde ihn nicht daran hindern, diesen Männern einen Strich durch die Rechnung zu machen. Er wagte sich gar nicht vorzustellen, was die Eindringlinge mit seiner Familie anstellen würden, falls er als Erster starb. Er hatte immer mit einem Angriff der Charyniten oder Belegonier gerechnet, nie jedoch mit einer Gefahr aus Lumatere.
    „Was habt ihr mit Sir Topher angestellt?“, fragte er. Ihm fielen die frischen Narben in Finnikins Gesicht auf.

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