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Wintermädchen

Wintermädchen

Titel: Wintermädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurie Halse Anderson
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Was, wenn das mit seinem Alibi gelogen war? Wenn die Polizei ihn für verdächtig hält? Und was für Typen wohnen überhaupt in gruseligen Motels? Vielleicht war er nur eine Ausgeburt meiner Fantasie. Der ganze Tag könnte ein Wachtraum gewesen sein, den ich mir zurechtgesponnen habe, weil das Eingeständnis, einen ganzen Tag im Bett verbracht zu haben, einfach zu erbärmlich gewesen wäre.
    Eher unwahrscheinlich.
    Puff! Jennifer ist wieder verschwunden.
    Mom, die sich ein Mehrkornbrötchen aus dem Korb nimmt: Ich kann nicht mit zur Totenwache, weil ich Dienst habe. Gehst du?
    Dad: Macht vielleicht einen komischen Eindruck. Ich habe seit Jahren nicht mehr mit ihnen gesprochen.
    Lia: Ich gehe hin.
    Mom: Auf gar keinen Fall. Du bist labil. Ich werde am Samstag unser Beileid bekunden, wenn wir auf der Beerdigung sind.
    Lia: Aber du hast doch gerade so ein Theater darum gemacht, wie lange Cassie und ich befreundet waren.
    Dad: Deine Mutter hat Recht. Das nimmt dich zu sehr mit.
    Lia: Es nimmt mich doch auch jetzt nicht mit.
    Mom: Das glaube ich dir nicht. Ich möchte, dass du öfter zu Dr . Parker gehst. Mindestens einmal die Woche, wenn nicht öfter.
    Lia, leise: Nein, das ist Zeit- und Geldverschwendung.
    Dad: Wie meinst du das?
    Lia: Dr . Parker zieht meine Therapie in die Länge, damit sie weiter abkassieren kann.
    Mom, die Körner aus dem Brötchen herauspopelt: Du verdankst ihr dein Leben.
    Lia, die an Stellen blutet, die sie nicht sehen können: Übertreib doch nicht so.
    Mom, krümelnd: Sie verfällt wieder ins Leugnen, David. Wieso lässt du das zu? Du unterstützt sie nicht beim Gesundwerden, du machst alles zunichte.
    Dad: Was redest du da? Wir unterstützen sie hundertprozentig, nicht wahr, Lia?
    Mom, mit Ätzblick: Ihr verhätschelt sie, du lässt sie machen, was sie will.
    Dad, lauter: Hast du gerade gesagt, dass wir sie verhätscheln?
    Sie gehen zum Angriff über, ein vertrauter Tanz, dessen Schrittfolge sich ins Gedächtnis ihrer Muskeln eingebrannt hat. Ich ziehe eine Kerze dicht an mich heran und drücke das weiche Wachs oben am Rand in die Flamme.
    Meine Eltern lernten sich auf einer Feier zur Sommersonnenwende kennen, an einem See in den Bergen. Dad war gerade dabei, seinen Doktor zu beenden, und kannte den Besitzer der Berghütte. Mom hatte einen ihrer seltenen freien Abende zwischen ihrer Praktikums- und Assistenzzeit im Krankenhaus. Sie und ihre Freunde wollten eigentlich auf eine andere Party und hatten sich verlaufen.
    Als ich noch ein richtiges Mädchen war, kuschelten sie immer mit mir auf dem Sofa und erzählten mir dabei die Märchenversion davon, wie sie sich ineinander verliebten:
    Es war einmal ein Gitarrenspieler. Oft saß er am Ufer eines violetten Sees, der so tief war, dass er keinen Grund hatte, und spielte und sang. Eines Tages erblickte er dort eine Dame. Sie hatte langes, goldenes Haar und lief barfuß durch den Sand. Die Dame hörte das süße Lied des Mannes. Es war Schicksal, dass ihre Wege sich kreuzten.
    In einem Kanu paddelten sie bis zur Mitte des Sees und lachten. Der Mond sah, wie hübsch und verliebt sie waren, und schenkte ihnen ein Baby, nur für sie allein. Genau in diesem Moment bekam das Kanu plötzlich ein Leck und begann zu sinken. Die beiden mussten paddeln und paddeln und paddeln, und sie erreichten das Ufer gerade noch rechtzeitig.
    Sie nannten das Baby Lia, und so lebten sie glücklich bis an ihr Lebensende.
    Die Haut meines Daumens verharrt auf dem Scheitelpunkt zwischen Unversehrtheit und Flamme.
    Die wahre Geschichte ist unpoetisch. Mom wurde schwanger. Dad heiratete sie. Als ich geboren wurde, konnten die beiden sich nicht ausstehen. Sie waren Zufallsgötter, die sich an einem weinroten See gepaart hatten. Sie hätten mich in einen Fisch oder eine Blume verwandeln sollen, als sie es noch konnten.
    Mom: Sie sieht furchtbar aus. Ich möchte, dass sie bis zur Abschlussprüfung wieder zu mir zieht.
    Dad, die Serviette auf den Tisch werfend: Herrgott noch mal, Chlo e …
    Die beiden werden bis in alle Ewigkeit streiten.
    Ich blase die Kerze aus.
    Emma hört mich die Treppe raufkommen und fragt, ob ich einen Film mit ihr sehen will. Ich klebe Pflaster auf meine nässenden Schnittwunden, ziehe mir einen rosafarbenen Pyjama an, damit wir zusammenpassen, und kuschele mich zu ihr unter die Regenbogendecke. Sie verteilt alle ihre Stofftiere in einem Kreis um uns, dann drückt sie auf PLAY .
    Als sie einschläft, zappe ich durch die Kanäle.
    Dr . Marrigan geht eine

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