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Wintermädchen

Wintermädchen

Titel: Wintermädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurie Halse Anderson
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Gewohnheiten annimmst. Schlechte Gewohnheiten.«
    Ich stehe auf, zwinge ihn zurückzutreten und mir Platz zu machen. »Ich bin müde«, sage ich. »Ich gehe schlafen.«
    Auf der mit Teppich ausgelegten Treppe machen meine Füße kein Geräusch. Ich öffne behutsam die Tür.
    Cassie ist fort. Das Zimmer riecht ein bisschen wie eine Bäckerei in der Weihnachtszeit, aber sie ist nicht da. Ich lasse Countrymusik auf meinem Rechner laufen, weil Cassie die nicht ausstehen kann, und krieche ins Bett.
    Gerade als ich beginne einzunicken, hört die Musik auf.
    Cassie sitzt am Fußende meines Bettes und sieht besser und gesünder aus denn je, als hätte sie das Geisterdasein so langsam im Griff. Sie tätschelt die Umrisse meines Beines, das sich unter den Decken abzeichnet, und sagt: »Schlaf endlich. Alles wird gut.«
    Keine Spinnen in Sicht, keine freundlichen Krabbeltiere, die Cassie verscheuchen. Ich will ihr sagen, dass sie mich in Ruhe lassen soll, aber mein Mund geht einfach nicht auf.
    025.00
    Donnerstag.
    Als ich aufwache, atme ich Erde. Ich huste und spucke die Kieselsteine aus, die ich im Mund habe, aber als ich wieder einatme, füllen feuchte Lehmklumpen meine Lung e …
    Nein, es ist das Betttuch über meinem Gesicht, ich reiße es herunter und stehe so schnell wie möglich auf. Im Haus ist es dunkel, es ist Viertel vor sechs. Das ist seit Wochen das erste Mal, dass ich vor Emma wach bin. Von der Diele unten höre ich, wie die Dusche meines Vaters anspringt. Wahrscheinlich mal wieder eine Sitzung seines Komitees.
    Ich knipse alle Lichter an und erhasche einen kurzen Blick auf mein Spiegelbild. Mein Stoffwechsel arbeitet schon wieder verlangsamt. Unter meinem Kinn blähen sich gelbe Fettblasen.
    Allmählich sehe ich wieder ekelerregend aus, schwach.
    ::dumm/hässlich/dumm/Schlampe/dumm/fett/
dumm/Baby/dumm/Loser/dumm/verloren::
    Für solche Momente hat man mir Verhaltensregeln mitgegeben:
    1. Finde heraus, um was für ein Gefühl es sich handelt.
    2. Wiederhole magische Beschwörungsformeln deine Affirmation, lies dir deine Lebensziele noch mal durch, meditiere über positive Gedanken.
    3. Rufe deinen Therapeuten an, wenn die negativen Selbstgespräche sich fortsetzen.
    4. Die erforderliche Kalorienaufnahme und Flüssigkeitszufuhr beibehalten.
    5. Exzessive sportliche Betätigung sowie Alkohol- oder Drogenkonsum vermeiden.
    6. Mach’s wie Dorothy im Zauberer von Oz: Dreimal die Hacken der Schuhe zusammenschlagen und wiederholen: »Zu Hause ist’s am besten, zu Hause ist’s am besten, zu Hause ist’s am besten!« Und augenblicklich erscheint ein Wirbelsturm, um dich an einen sicheren Ort zu pusten. Oder dir fällt ein Haus auf den Kopf.
    Nichts funktioniert nie funktioniert was es frisst mich einfach weiter von innen auf Ich lege mich auf den Boden und mache ein paar Hundert Übungen zur Stärkung der Bauchmuskulatur, bis mir der Schweiß in den Bauchnabel läuft.
    Neue Regeln:
    1. Maximal 80 0 Kalorien am Tag, lieber nur 500.
    2. Der Tag beginnt mit dem Abendessen. Wenn sie verlangen, dass ich mit ihnen esse, stopfe ich genug in mich rein, damit sie mir vom Hals bleiben. Als Ausgleich schränke ich mich tagsüber ein.
    3. Wenn ich nicht frühstücke, fahre ich mit dem Bus zur Schule.
    3a. Besser, ich laufe.
    3b. Am besten, ich geh gar nicht erst.
    4. Ich fange wieder mit dem Training an.
    5. Bis sie beerdigt ist, lasse ich beim Schlafen das Licht brennen.
    Ich lächele und spiele meine Rolle in der allmorgendlichen Küchenshow. Jennifer quält Emma mit Lernkärtchen zum schriftlichen Teilen, weil sie heute einen Mathetest schreibt. Sie merken kaum, dass ich da bin, und verlassen das Haus mit zehn Minuten Verspätung.
    Unser Physiklehrer demonstriert Kollision und Impulsübertragung anhand einer Bowlingkugel und eines Squashballs. Die Bowlingkugel gewinnt. Statt Geschichte gehen wir rüber zur Turnhalle: Heute ist College-Messe. Vertreter von ein paar Hundert Hochschulen und von der Army stehen hinter kleinen Tischen mit Hochglanzbroschüren, die uns allesamt eine tolle und glanzvolle Zukunft versprechen.
    Für die Herstellung dieser Broschüren hat man zweitausend Hektar Wald gerodet. Heute Abend werden sie alle im Müll landen. Muss ich mir so ein Heftchen mitnehmen? Nein. Wir wissen eh schon, auf welches College ich gehen werde. Möchte ich überhaupt aufs College? Nein.
    Was möchte ich denn?
    Auf diese Frage gibt es keine Antwort.
    Ich hätte Cassies Meerglas behalten oder vor dem Zurückgeben wenigstens

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