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Wintermädchen

Wintermädchen

Titel: Wintermädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurie Halse Anderson
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mal durchgucken sollen. Das wäre besser gewesen als so eine dämliche Broschüre.
    Beim Mittagessen fragt mich die Theatergruppe, ob ich mich nicht zu ihnen setzen möchte. Eigentlich will ich bloß ins Krankenzimmer und dort ein bisschen schlafen, aber weil sie so nett sind, sage ich Ja und stelle mich mit ihnen in die Schlange.
    Ich kaufe einen kleinen schrumpligen Apfel (70) und einen fettarmen Joghurt mit Süßstoff (60). Das Mädchen vor mir, Sasha, nimmt frittierte Käseröllchen mit Tomatensoße und einen Brownie. Dazu eine Flasche Wasser. Der Typ vor ihr (der Beleuchtung und Ton macht) nimmt Spaghetti und eine doppelte Portion Knoblauchbaguette. Ein anderer Typ kauft Pizza. Das Mädchen hinter mir holt sich eine Schüssel Blattsalat mit Sellerie und ein Schälchen Ketchup. Die anderen Mädchen kaufen Tacosalat.
    Wir sitzen in der Mitte der Cafeteria, ein Fischbecken, gefüllt mit Elritzen, Guppys, Salmlern, Kärpflingen und Segelflossern. Haie umkreisen ihre Beute. Stachelaale hauen ihre Nasen an die Scheibe und suchen nach dem Ausgang. Fischfutterflocken und strichförmige Fischkacke schweben im Wasser. Der Boden ist von schleimigen, hellgrünen Algen überzogen.
    Die Schauspieltruppe bespricht, wer bei der Totenwache geheult hat und wer nicht und wer deswegen heulte, weil sie von irgendjemandem abserviert wurden und nicht, weil Cassies Leiche dort im gepolsterten Sarg lag. Als sie mir Fragen stellen, sage ich die Sätze auf, die ich mir vorher schon notiert habe.
    Ja, es ist so tragisch. Nein, ich hatte auch keine Ahnung. Ja, ich finde, dass der Bestatter miserabel gearbeitet hat. Nein, ich glaube nicht, dass ihr dieses Kleid gefallen hätte. Ja, es war schon komisc h …
    Ihre Münder öffnen sich, schließen sich, öffnen-schließen, Kiemen brechen hervor und flattern ihnen hinter den Ohren. Käseröllchenfett steigt zur Wasseroberfläche auf. Die Hausmeister werden es mit Sägemehl wegputzen. Der Pizzafischtyp kleckert sich Soße aufs Hemd. Eins der Tacosalatmädchen hat ein entzündetes Nasenpiercing. In der Siebten war sie mit mir zusammen im Ballettunterricht. Salatundketchup wirft mir immer wieder finstere Blicke zu, weil sie die letzten zehn Pfund einfach nicht loswird, da kann sie machen, was sie will.
    Ich schneide die matschige Beule aus meinem Apfel, teile den Rest in acht Stücke, tauche eins davon in den Joghurt und lege mir den Schnitz auf die Zunge, glitschig lecker und weich.
    Er holpert die Kehle abwärts und klatscht irgendwo unten auf.
    »Ich war vorher noch nie auf einer Beerdigung«, sagt der blonde Tacosalat.
    »Ich schon total oft«, erwidert Spaghetti. »In der Familie meines Vaters sterben sie am laufenden Band. Eine Beerdigung ist wie die andere.«
    »Müssen wir das Loch selbst zuschaufeln?«, fragt der Tacosalat mit dem Nasenpiercing.
    »Das machen die Leute vom Friedhof.« Spaghetti beißt krachend in sein Knoblauchbrot. »Sie benutzen so einen kleinen Mietlaster, wie auf einer Baustelle.«
    »Wir können ja alle zusammen hingehen«, schlägt Sasha Käseröllchen vor und nippt an ihrem Wasser. »Genau wie bei der Totenwache. Ihre Eltern werden sich sicher drüber freuen.«
    Cassie kommt zur Flügeltür hereingeschwommen, barfuß, das blaue Kleid wellt sich um ihren Körper. Die Haare wehen hinter ihr her, verheddert und verflochten mit Bändern aus Seealgen. An ihrem Hals und ihren Fingern haben sich kleine Schnecken festgesaugt.
    Sie treibt über den ersten Tisch hinweg und blickt sich suchend in der Cafeteria um. Ich starre tief in meinen Joghurtbecher.
    »Treffen wir uns bei mir, Lia?«, fragt der blonde Tacosalat. Sie hat Tomaten-Salsa auf der Bluse, merkt es aber nicht. »Ich krieg den Wagen von meiner Mutter, da passen wir alle rein.«
    Cassie schwimmt schneller, dreht ihre Runden im Fischbecken und hält Ausschau nach mir. Ich frage mich, ob das Meerglas immer noch in ihrem Bauch liegt. Sie wird es auskotzen müssen, wenn sie in die Zukunft sehen will. Aber vielleicht funktioniert es ja anders, wenn man tot ist.
    »Lia?«
    »Ich glaube, ich komme nicht mit«, sage ich, als Cassie gerade in der Küche verschwindet.
    »Was?«
    »Meine Eltern wollen das nicht.«
    »Du musst«, quengelt Salatundketchup. »Wir müssen alle hingehen, um unser Mitgefühl zu zeigen.«
    »Was für ein Mitgefühl?«, frage ich.
    »Das für Cassie!«, blafft sie mich an. »Das ist dir natürlich fremd!«
    »Moment mal, ja?« Ich deute mit meinem Plastikmesser auf sie. »Ich war sehr viel länger

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