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Wintermädchen

Wintermädchen

Titel: Wintermädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurie Halse Anderson
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gesagt, du sollst mich ansehen!«, brüllt Mom und rüttelt mich an der Schulter.
    Ich blinzele. Der Abwasch ist bereits erledigt, aber meine Hände sind immer noch in der Spüle. Der Schaum ist verschwunden, das Wasser längst kalt.
    Mom zerrt geleitet mich zu ihrem Stuhl, die eine Hand um meine Schulter gelegt, mit der anderen fühlt sie meinen Puls. Sie kniet sich vor mich hin, und dann muss ich nach oben schauen und zur Seite und dann direkt in das Licht ihrer Stabtaschenlampe.
    »Ich wette, dein Blutzucker ist im Keller«, murmelt sie.
    Auf ihrem Teller liegen drei leere Papiermuffinförmchen, in Dreiecke gefaltet. Neben dem Teller liegt ein lindgrüner Papierblock mit den Notizen, die sie sich beim Telefonieren gemacht hat, während ich in Zombieland unterwegs war.
    Ihr Saftglas und die Kaffeetasse sind leer. Das Wasser im Spülbecken hat Zeit aus dem Raum gesogen. Zehn Minuten habe ich verloren, vielleicht sogar fünfzehn.
    Sie gießt mir ein Glas Orangensaft ein. »Trink das.«
    Wenn ich es nicht tue, wird sie mich aller Wahrscheinlichkeit nach zu Boden ringen, mir den Mund aufhebeln und es mir einflößen. Oder sie fährt mich ins Krankenhaus und steckt mir Infusionen in den Körper, bis ich mich aufblähe und an der Decke entlangtanze wie ein Luftballon.
    Hastig stürze ich den Orangensaft hinunter, drücke ihn Richtung Magen.
    Sie sitzt da, starrt mich an, während der Nebeldampf an den Fenstern sich wieder lichtet und meine Speicher sich langsam wieder füllen.
    »Mit mir ist alles in Ordnung«, sage ich. »Ich bin nur traurig wegen Cassie.«
    Statt zu antworten, steht sie auf, knallt die saubere Pfanne auf den Herd, macht die Flamme an, wirft Butter hinein, reißt die Kühlschranktür auf und holt Eier und Milch heraus. Sie schlägt zwei Eier in die Pfanne, schüttet Milch hinterher und beginnt mit der Gabel zu rühren.
    »Ich ess das nicht«, sage ich.
    Sie steht über den Herd gebeugt und rührt und rührt.
    »Ich kann nicht.«
    Keine Antwort. Rührrührrühr.
    »Du darfst mich nicht bedrängen. Ich muss mich mit dem Essen sicher fühlen.«
    »Das ist das Dämlichste, was ich je gehört habe.« Sie lädt die fertigen Eier auf einen sauberen Teller, legt zwei Muffins dazu, stakst durch die Küche und stellt alles vor mich hin.
    Der Orangensaft ist ein Virus, das mich von innen angreift. »Vergiss es.«
    Sie schüttelt den Kopf. »Du kannst nicht klar denken. Du bist wie vernebelt. Und mit dem Frühstück hast du mich angelogen.«
    »Okay, dann habe ich eben vergessen zu frühstücken. Es war viel los heute.«
    »Du siehst furchtbar aus. Wie viel wiegst du?«
    »Jennifer ist die Terroristin mit der Waage«, sage ich. »Frag doch sie.«
    Sie verschränkt die Arme vor der Brust.
    »Achtundvierzig Komma fünf am Dienstag.«
    »Das glaube ich nicht.«
    »Lass dir halt das Notizbuch zeigen.«
    »Du wirst alles essen, was auf dem Teller ist.«
    Zwei Rühreier + Milch + Butter = 365 (+ zwei Muffins = 450) = Horror!
    »Ich versuch’s.«
    Ich nehme ein kleines bisschen Eigelb. Der Orangensaft ätzt mir Löcher in die Darmschleimhaut. Ich schlucke Eigelb und Fett, belade eine weitere Gabel und mache den Mund weit auf für das Flugzeug, das in den Hangar fährt.
    Mom gießt sich noch eine Tasse Kaffee ein.
    Ich lege die Gabel hin. »Mir ist schlecht. Ich kann nicht.«
    »Du bist krank. Wenn du ganz normal essen würdest, würdest du dich besser fühlen.«
    »Wenn ich esse, fühle ich mich noch schlechter.«
    »Iss ein Stück Muffin.«
    Langsam wickele ich das rosafarbene Papier ab. Was habe ich mir nur dabei gedacht, für sie zu kochen und Heile-heile-Segen zu machen? Dass davon alles besser wird? Ich schneide den Muffin in zwei Hälften, dann die eine Hälfte in vier Teile und dann jedes Viertel in zwei. Ein Gäbelchen stecke ich mir in den Mund. Auf meiner Zunge explodiert eine staubige Blase aus unverrührtem Mehl.
    Sie schaut mir dabei zu, wie ich kaue und schlucke. Sie schaut mir dabei zu, wie ich kein zweites Stück nehme, eine Minute, zwei, drei, vie r … Vor ein paar Jahren habe ich einen Blick auf Moms Steuererklärung geworfen und mir ihren Stundenlohn ausgerechnet. Ich habe gerade zwölf Dollar ihrer kostbaren Zeit verschwendet.
    Ich schiebe meinen Teller weg. »Ich kann nicht.«
    Anstatt zu explodieren, holt sie tief Luft und schiebt mir den Teller wieder hin. »Ich mache dir ein Angebot.«
    Der Orangensaft verursacht mir Magenkrämpfe. »Wie meinst du das?«
    »Wenn du isst, erkläre ich dir, wie

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