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Wintermädchen

Wintermädchen

Titel: Wintermädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurie Halse Anderson
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, REINIGEN , NORMALSPÜLGANG , DESINFIZIEREN und TROCKNEN . Das Heizungssystem filtert die Luft durch einen Elektrostaubabscheider und atmet sie mit einem Zischen gereinigt wieder aus. Der Wasserboiler springt an und heizt sich auf. Der Kompressor des Kühlschranks rattert und beginnt dann zu summen, um alles kühl zu halten.
    Ich könnte laut schreien und sämtliche Fenster zum Bersten bringen – es wäre egal. Alles würde gemäß Bedienungsanleitung der Eigentümerin weiterhin funktionieren, abgesichert durch einen dicken Ordner mit Garantien.
    Ich zittere mich bis ins Bad. Als ich die Toilettenspülung drücke, verschwindet der ganze Hauslärm unter dem Rauschen des Wassers. Ehe ich wieder unter die Decke krieche, ziehe ich die Vorhänge auf und stelle mich vor das kalte Fenster, das bis zum Boden geht. Es gibt den Blick frei auf das, was einmal das Paradies war auf den Garten.
    Als Dad auszog, heuerte Mom Landschaftsgärtner an. Sie ließ das Gemüsebeet in einen pflegeleichten Staudengarten umwandeln, der nicht oft gegossen werden muss. Der Komposthaufen wurde entfernt, der Kräutergarten verwahrloste, und meine Lieblingsecke, wo früher mal die Erdbeeren wuchsen, fiel einem Gehweg zum Opfer. Einmal die Woche kamen jetzt irgendwelche Typen zum Mähen, Schneiden und Harken.
    Dieses Jahr hat Mom wohl niemanden bestellt. Im Juli und August muss der Garten ein einziger Dschungel gewesen sein. Nun ist er ein toter Dschungel. Das Gras ist kniehoch und totbraun und hängt voller Samenschalen und heruntergefallener Zweige. Die wild wuchernden Stauden ersticken unter verdorrten Lianen. Der Baumstumpf des Walnussbaums, der früher mal mein Baumhaus hielt, fault vor sich hin. Als wüsste Mom gar nicht mehr, dass sie einen Garten hat.
    Bis zu dem Sommer, in dem wir zwölf wurden, war mein Baumhaus meine Burg.
    Es waren Ferien und Oma Marrigan war zu Besuch, um auf mich aufzupassen; ich war zu alt für einen Babysitter und zu jung, um schon allein zu bleiben. Jeden Morgen backte sie: Zucchinibrot, Haferkekse oder Heidelbeerkuchen. Sie brachte mir Stricken bei und Cassie zeigte sie, wie man häkelt. Endlose Maschenschlangen wanden sich um ihre Hände und um ihre schiefen Finger.
    Wir wollten aber keiner alten Dame beim Backen oder Stricken zusehen. Wir wollten im Einkaufszentrum abhängen. Wir wollten sechzehn werden, aber bitte ein bisschen plötzlich, Auto fahren und uns einen gefährlichen Freund zulegen. Das Baumhaus war zu klein für überdrehte Mädchen wie uns, aber mehr hatten wir nicht. Wir lasen Bücher, spielten Hearts und Uno, lackierten uns die Fingernägel und aßen Eis am Stiel und Käse-Senf-Sandwiches, sodass unsere Blusen dauernd vollgekleckert waren.
    Es war der Sommer, in dem ich endlich wuchs, nachdem ich jahrelang die Kleinste von allen gewesen war. Die Pubertät schnallte mich auf die Streckbank, bis meine Arme und Beine fast aus den Gelenkpfannen sprangen und mein Hals fast brach. Dieser neue Körper roch feucht. Der Hintern begann zu wackeln, die Hüften wirkten in engen Jeans einen Kilometer breiter, und ein leichtes Doppelkinn wölbte sich hervor. Meine Ballettlehrerin zwickte mich in die Taille, strich mein Solo und sagte, ich solle aufhören, Walnusseis zu essen. Ich wurde vom eleganten Schwan zum hässlichen jungen Entlein, das nicht laufen konnte, ohne über seine eigenen Füße zu stolpern.
    Cassie meinte, Ballett sei was für Babys. Und ich antwortete, das sei mir egal, obwohl es nicht stimmte. Zwei Tage später fuhr sie ins Theaterlager und ließ mich allein.
    Es war der Sommer, in dem das superberühmte Buch meines Vaters erschien, er ständig in den Nachrichten war und Mom Wind von der Sache mit seiner Freundin bekam. Ein paar Wochen lang schlief er auf der Couch, dann zog er aus. Sagte mir, dass er mich immer lieben würde, ganz gleich, was auch geschehe, mietete sich ein Ein-Zimmer-Apartment und war weg. »Gott sei Dank sind wir ihn los«, sagte Oma Marrigan, die Dad von Anfang an nicht hatte leiden können.
    Mom reichte die Scheidung ein.
    Bei der Familienberatung behaupteten meine Eltern, dass wir immer eine Familie bleiben würden, aber so wäre doch alles besser. Kein Gebrüll mehr, keine Auseinandersetzungen. Indem sie die Familie auseinanderrissen, stärkten sie sie angeblich. Als mir schließlich klar wurde, dass sie nichts als Unsinn redeten, war die Familienberatung beendet und Dad führte Jennifer zum Traualtar.
    Der Wachstumsschub riss meine Organe in Fetzen. Vor lauter

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