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Wintermädchen

Wintermädchen

Titel: Wintermädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurie Halse Anderson
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Schmerzen fuhr ich jede Nacht schreiend aus dem Schlaf hoch. Meine Mutter ließ mich auf zwanzig Krebsarten testen und konsultierte Spezialisten, die sich mein Inneres auf Schwarz-Weiß-Bildern ansahen und sagten, dass mit mir alles in Ordnung sei. Die Schmerzen würden vergehen, wenn ich aufhörte zu wachsen.
    Auch sie logen, denn es wurde schlimmer.
    Oma Marrigan fuhr kurz vor Schulbeginn wieder nach Hause. Cassie kam vom Theaterlager zurück, mit einem aufgesetzten britischen Akzent, einem heftigen Efeu-Ausschlag und drei Schachteln Abführmittel.
    Ich zeigte ihr die winzigen Schnitte, die ich meiner Haut zugefügt hatte, um all die Schlechtigkeit und den Schmerz heraussickern zu lassen. Zuerst waren sie nur oberflächlich, wie die Kratzspuren einer verängstigten Katze, die unter die Veranda flüchten will. Das Ritzen war eine ganz neue Art von Schmerz. So konnte ich leichter akzeptieren, dass mir mein Körper, meine Familie und mein Leben gestohlen worden waren, und es fiel mir leichter, gleichgültig zu bleibe n …
    Cassandra Parrish zerplatzte von innen wie ein rosaroter Luftballon. Niemand sang ihr etwas vor, hielt sie im Arm oder half ihr, ihre Einzelteile wieder aufzusammeln. Sie starb allein.
    Ich darf auf keinen Fall aus einem der Fenster schauen, von denen aus man ihr Haus sieht. Erst jetzt begreife ich so langsam, dass sie nie mehr dort schlafen wird, nie wieder die Tür zuknallt, nie wieder beim Haarewaschen unter der Dusche singt.
    Ich begebe mich wieder ins Wohnzimmer, mit geschlossenen Augen, schlurfenden Schritten. Ich will nichts sehen, ehe ich nicht von diesen gefährlichen Fenstern weg bin.
    Mein Magen jammert immer noch, also krieche ich wieder unter die Heizdecke und drehe sie voll auf. Das Fett der Eier vermischt sich mit dem Muffinteig und dem Saft. Es dringt in meine Adern, ein zähflüssiger Brei, der nach und nach hart wie Beton wird. Jeden Augenblick könnte mein Herz einfach so
    stehen bleiben.
    038.00
    Ich wache noch verwirrter auf als sonst, weil mein Bett nicht in die richtige Richtung zeigt und es außerdem nicht mal ein Bett ist, sondern ein Sofa, Moms Sofa, das weiche Sofa im Haus meiner Mutter. Ich liege unter einer schweren, handgearbeiteten Marrigan-Frauensteppdecke, zusammengeflickt aus uralten Kleidern und sonnengebleichten Röcken.
    Ich erinnere mich nicht daran, eingeschlafen zu sein oder dass ich nicht habe einschlafen können oder ob ich was geträumt habe. Ich bin nicht aufgewacht, als Mom nach Hause kam. Keine Ahnung, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen ist.
    In der vergangenen Nacht ist Cassie nicht bei mir gewesen. Das ist gut. Vielleicht findet sie nun auch endlich Schlaf.
    Derselbe Geruch wie immer liegt in der Luft: Kaffee und Putzmittel.
    »Mom?« Das Wort fühlt sich komisch an.
    »Hier«, ertönt ihre weit entfernte Stimme.
    Ich wickele mich in die Steppdecke ein und schlurfe mit ihr durchs Haus. Ein Gefühl, als wäre ich sechs Leben lang weg gewesen statt sechs Monate.
    Nach Dads Auszug krempelte Mom alles um: neue Möbel, neue Teppichböden, eine völlig neue Küche. Sie riss ein paar Wände ein, änderte die Raumaufteilung in jedem Stockwerk, ließ Fenster einbauen und Türen versetzen. Zwei Jahre lang teilten wir das Haus mit Zimmerleuten und Maurern und staubverklebten Kerlen, die am laufenden Band fluchten. Als es vorbei war, hatte Mom ein nagelneues Haus, frei von jeglicher Verunreinigung durch die Gegenwart meines Vaters.
    Fast rechnete ich damit, dass sich die ganze Prozedur nach meinem Auszug wiederholen würde, aber soweit ich sehe, hat sich nur eins verändert: Alle Zeichnungen und Karten und Fotos von Maine, die Bilder von ihren Großeltern und von mir als Ballerina und als schlafendes Baby auf ihrer Schulter, all das hat sie von den Wänden genommen und auf den Boden gestellt. Sie haben Geister hinterlassen, leuchtende Rechtecke mit leeren Bilderhaken und dünnen, hervorstehenden Nägeln in der Mitte. Rings um die Rechtecke ist die Wandfarbe verblasst.
    Moms Stimme dringt durch die geschlossene Tür der Bibliothek. »Einen Augenblick noch!«
    »Ich bin dann oben.«
    Mein Zimmer sieht noch genauso aus wie beim letzten Mal, als sie mich ins New Seasons karrten, von den Stiefelabdrücken am Schrank bis hin zu den zerschnipselten Geburtstagskarten auf dem Fußboden. Sie hat keine Putzfrau hineingeschickt, um mein Bett zu machen oder es auf die Straße zum Sperrmüll zu stellen oder um Staub zu saugen oder durchzuwischen.
    Am Türrahmen gibt

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