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Wintermaerchen

Wintermaerchen

Titel: Wintermaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Helprin
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gut ein Ausbrecher aus einem Irrenhaus sein können, denn er wirkte zugleich streitsüchtig und wirrköpfig. Die Hand auf den Schwertknauf gelegt, trat er auf die beiden Fischer zu und brüllte etwas in einer Sprache, die fremdartiger klang als alles, was Humpstone John und Peter bisher vernommen hatten. Es war nicht Englisch, und es war erst recht nicht das Kauderwelsch der Sumpfbewohner.
    Da der Fremdling sich allem Anschein nach nicht zurechtfand, sagte Humpstone John zu ihm: »Du bist hier im Sumpf. Wahrscheinlich willst du nach Manhattan. Wenn du aufhörst zu schreien, bringen wir dich hin. Dort findest du bestimmt andere Leute, die so sind wie du, aber auch ohne sie kommst du dort zurecht, weil sich niemand um deine verrückte Aufmachung kümmern wird. Doch jetzt hör bitte auf zu krakeelen und rede Englisch mit uns!«
    Der Krieger reagierte auf diese Worte, indem er in dem knietiefen Wasser mit ein paar schnellen Schritten noch dichter an das Kanu herantrat und mit leicht gespreizten Beinen in jener Haltung stehen blieb, die unmissverständlich Kampfbereitschaft signalisierte. Humpstone John begriff nun sofort, dass alle Beschwichtigungsversuche vergeblich sein würden. Er seufzte, als der Samurai oder was immer der Kerl darstellte, mit einem schrillen Schrei sein langes, silbrig glänzendes Schwert aus der Scheide riss. Humpstone John ließ die Reuse fallen, die er gerade hatte aussetzen wollen, zog sein Breitschwert aus dem Gürtel und reichte es Peter Lake.
    »Versuch es einmal!«, ermunterte er den Knaben. »So lernst du es am schnellsten.«
    Der Samurai stieß wieder einen Schrei aus und hob die Klinge.
    »Wie muss ich es anfassen?«, fragte Peter Lake.
    »Anfassen? Was meinst du?«
    »Das Schwert!«
    »Natürlich am Knauf! Aber jetzt beeil dich …«
    Der Krieger stand nun unmittelbar vor dem Kanu. Sein Schwert hielt er wie ein Scharfrichter, der sich anschickte, einen Verurteilten zu enthaupten. Er hatte die Backen aufgeblasen und sein Gesicht zu einer solchen Grimasse verzogen, dass er wie ein Kugelfisch aussah. Kurz bevor sein Schwert herabsauste, ermahnte Humpstone John den Knaben mit sachlicher Stimme: »Es wäre ratsam, diesen Schlag zu parieren.« Schnell hielt Peter sein Breitschwert waagerecht über den Kopf. Das geschah gerade noch zur rechten Zeit, denn schon prallten die beiden Waffen mit stählernem Klang aufeinander.
    »Was nun?«, fragte Peter. Das Schwert des Kriegers war an seinem eigenen abgeglitten und tief in das Schanzkleid des Bootes gedrungen.
    »Verpass ihm eins von unten, genau unter den Arm, mit dem er das Schwert führt. Schnell!«
    »Aber jetzt kämpft er mit beiden Armen!«, erwiderte Peter und zog den Kopf ein. Zischend durchschnitt die messerscharfe Klinge die Luft an der Stelle, wo gerade noch sein Hals gewesen war.
    »Du hast eindeutig Recht«, gab Humpstone John zu. »Versuch es trotzdem!«
    Mit einem markerschütternden Schrei holte der Samurai erneut zu einem beidhändigen Schlag aus, der Peter in der Herzgegend getroffen hätte, aber wieder gelang es diesem, den Angriff des Gegners zu parieren. Allerdings wurde diesmal das untere Ende von Humpstone Johns Bart abgetrennt.
    »Schluss mit dem Unfug!«, schimpfte der Alte. »Nun mach schon! Ich würde gern den Rest von meinem Bart behalten.«
    »In Ordnung!«, antwortete der kleine Peter. Mit einer flinken Bewegung schwang er das rasiermesserscharfe Breitschwert. Tief schnitt es in den linken Arm des Gegners. Plötzlich war Peter wie ausgewechselt. Sein Schwert wirbelte durch die Luft, dass es kaum noch zu sehen war. Dabei waren seine Finten und Attacken von geschmeidiger Eleganz. Fast hätte er dem Samurai den Bauch von oben bis unten aufgeschlitzt, aber er gab sich damit zufrieden, dem fremdländischen Krieger das Schwert aus der Hand zu schlagen. Der gedemütigte Gegner wandte sich ab und stolperte durch den Sumpf dem Wolkenwall entgegen. Er verschwand darin und ward nie mehr gesehen. Ob er den Tod fand oder nur zum Krüppel wurde, wird ewig ungewiss bleiben.
    »Soll ich sein Schwert aus dem Wasser fischen, John?«, fragte Peter, der noch immer vor Erregung zitterte, aber zugleich stolz darauf war, dass er seinen ersten Kampf so gut durchgestanden hatte.
    »Nein, lass nur«, erwiderte Humpstone John. »Das Ding taugt nicht viel, es ist aus Blech.«
    Peter Lake war damals schon schnell genug, um dem Wolkenwall zu entkommen, wenn er über Sandbänke und Schilfdickicht hinweg auf ihn zurollte. Nie würde er, Peter,

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