Wintermaerchen
diese gierigen kleinen Schmeißfliegen, die für einen Teppichboden und einen Farbfernseher ihre Seele verkaufen, dass sie bis auf den letzten Tropfen ausgequetscht werden. Sie und die Bankiers sind füreinander geschaffen.«
Praegers Stabschef war ziemlich durcheinander. Nervös trommelte er mit den Fingern gegen den Flachmann, den er in der Jackentasche trug. »Wenn Sie die Milliardäre verurteilen – meinen Sie damit auch Mr Binky?«
»Ist es nicht allmählich Zeit, das Kind beim Namen zu nennen?«
»Craig Binky ist unser wichtigster Verbündeter.«
»Überschätzen Sie ihn nicht.«
»Mr de Pinto, niemand wird Ihnen eine Stimme geben.«
»O doch! Die Leute werden mich wählen, weil ich ihnen die Wahrheit sage.«
»Aber Sie sagen nicht immer die Wahrheit. Manchmal lügen Sie wie gedruckt.«
»Sie werden mich auch wählen, weil ich der beste Lügner bin. Weil ich es mit Anstand und einer gewissen Finesse mache. Wissen Sie, Wahrheit und Lüge liegen dicht beieinander, und zwischen ihnen ist Platz für etwas Schönes. Wenn ich die Leute auf meine Art anlüge, dann lasse ich sie gleichzeitig spüren, dass ich Verständnis für ihren Zustand habe, dass ich für sie hoffe und dass ich den Affen verabscheue, der auf ihrem Rücken hockt. Das macht mich zu einem der ihren. Schließlich bin ich einer von ihnen! Sie werden schon sehen, für wen diese Leute stimmen.«
»Schon gut, schon gut«, entgegnete der Stabschef. »Bei philosophischen Gesprächen kann ich mit Ihnen nicht mithalten, das wissen Sie selbst. Aber da ist noch eine praktische Angelegenheit, die ich mit Ihnen besprechen wollte.«
»Worum geht es denn?«
»Um Ihre nächste öffentliche Kundgebung.«
»Na und?«
»Wer, zum Teufel, wird schon im Morgengrauen an einer Wahlkundgebung in den Cloisters teilnehmen? Der politische Zweck einer solchen Veranstaltung besteht doch wohl darin, eine Menschenmenge zusammenzutrommeln, um sie im Fernsehen vorzeigen zu können, während Sie eine Rede halten. Ich zweifle sehr daran, dass viele Leute bei Tagesanbruch und bei zehn Grad unter null zu den Cloisters gehen werden, um sich von Ihnen die Meinung sagen zu lassen. Warum nicht um die Mittagszeit in der Grand Central Station oder im Foibles Park?«
»Hören Sie zu«, sagte Praeger und lehnte sich vor. »Diese Sachen lassen sich nicht von A bis Z organisieren. Die Würfel sollen fallen, wie es ihnen beliebt.«
»Aber hier geht es um eine von insgesamt nur drei öffentlichen Kundgebungen, die Sie anberaumt haben. Was für eine Verschwendung von … Lassen Sie mich ein paar mehr arrangieren!«
»Nein. Ich hasse öffentliche Auftritte. Wenn es etwas gibt, was ich nicht ausstehen kann, dann sind es große Menschenmengen.«
Als der Stabschef ging, war er den Tränen nahe. Praeger lehnte sich auf seinem hölzernen Stuhl zurück, dem einzigen Möbelstück in seinem Hauptquartier. Er hatte sich noch immer nicht dazu durchringen können, einen Telefonanschluss zu beantragen. Aber er war von einer tiefen unerschütterlichen Gewissheit erfüllt, dass er sich auf dem Weg zum Sieg befand. Hätte er in Chicago, Miami oder Boston kandidiert, dann wäre es wahrscheinlich anders um ihn bestellt gewesen. Aber New York glich einem Gaul, der durchgegangen war, nachdem ihn eine Biene gestochen hatte. Die einzige Methode, diesen Gaul einzufangen, besteht darin, ihn auf seinem Bienenstichkurs zu folgen, sinnierte Praeger. Und genau das gedachte er mit dieser unwahrscheinlichen Stadt zu tun, deren politischer Führer er sein wollte, weil er sie so unwahrscheinlich liebte.
Die Massenveranstaltung in den Cloisters fand an einem kalten, klaren Tag in aller Frühe statt. Praeger stand eine halbe Stunde herum und schaute zu, wie der Fluss zum Leben erwachte. Blau und weiß leuchteten die Eisschollen und das offene Wasser im Schein der Morgensonne. Die Beteiligung an der Veranstaltung war gering, genau gesagt: Es erschien kein einziger Mensch, nicht einmal einer von Praegers Assistenten und Wahlkampfhelfern, von Reportern oder normalen Zuhörern ganz zu schweigen. Da es so kalt war und die Sonne den Krieg gegen die zwischen den Bäumen lagernden Schatten der Nacht noch nicht gewonnen hatte, hatte der wildreiche Fort Tryon Park nicht ein einziges Eichhörnchen, eine Taube oder eine politisierte Wühlmaus ausgesandt, die sich auf eine Mauer hätte hocken können, den Schnee ein wenig beiseitescharren und sich anhören, was der Kandidat bei einer Veranstaltung zu sagen hatte, die Craig
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