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Wintermaerchen

Wintermaerchen

Titel: Wintermaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Helprin
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aus Stahl. Hier gab es Hunderte von Maschinen, und jede verrichtete zischend und spuckend ihre Arbeit.
    Zum ersten Mal freute sich Peter darüber, dass er das Sumpfland verlassen hatte. Die rastlose Tätigkeit der Maschinen ließ alles, was er wusste, in einem anderen Licht erscheinen. Sie waren ständig in Bewegung – wie die Wellen, die Wolken und das Wasser. In ihnen waltete eine erhabene Kraft.
    Peter wanderte zwischen den Maschinen hin und her, zwischen Hunderten von Maschinen! Er fühlte sich zugleich benommen und einer Ekstase nahe. Da er nicht wusste, zu welchem Zweck all diese Maschinen konstruiert worden waren, blickte er sich nach jemand um, den er fragen konnte. An einem der pochenden und schnaubenden Ungetüme stand ein Mann, der wie ein Aufseher wirkte, in Wirklichkeit jedoch ein Verkäufer war. Einem solchen Menschen war Peter noch nie begegnet, sonst hätte er sich gesagt, dass ein Mann, dessen Aufgabe darin bestand, ein fünfzig Tonnen schweres und zweihunderttausend Dollar teures Monstrum aus Stahl zu verkaufen, wohl schwerlich seine Zeit mit einem zwölfjährigen Knaben vergeudet hätte, dessen Stiefel aus dem Fell von Moschusratten und dessen Kopfputz aus Muscheln gefertigt war. Jedenfalls trat Peter in seiner Unkenntnis auf den Mann zu, deutete auf die gigantische Maschine und sagte: »Was ist dies hier, bitte?«
    »Was dies ist? Was dies ist? Dies, mein Lieber, ist eine halbautomatische Unterwasserdruckluft-Mehrspindelbohrmaschine Marke Barkington-Payson mit selbsttätigem Vorschub! In keiner Messehalle der Welt finden Sie etwas Vergleichbares. Beachten Sie die technische Konzeption. Die Präzisionsspindelhülsen stammen aus Düsseldorf, die ausziehbaren Gelenkwellen sind aus hochvergüteter Jodelagnia- Legierung . Natürlich sind die Bohrstangen genau zentriert und bestehen übrigens aus reinstem Salinium. Das findet man wirklich nur bei Spitzenprodukten! Aber unsere Devise ist eben: Nur vom Besten! Sehen Sie nur diese Halterung des Querschlittens mit dem Anschlag für den Planschub. Wartungsfrei und in einem bruchsicheren Gussgehäuse aus Volpinium !! Der liebe Gott könnte nichts Besseres bauen, mein Freund. Ja, unsere Barkington-Payson ist ein Prachtstück, gut konzipiert und zuverlässig. Und was den Preis anbelangt …«
    Peter hätte dem Verkäufer stundenlang zuhören können. Er stand mit offenem Mund da und nahm begierig jedes einzelne Wort in sich auf. Dies war einer der Eckpfeiler menschlicher Zivilisation, dessen war er sich sicher. Er war genauso zufällig darauf gestoßen wie auf die diebischen Tanzmädchen und den rotberockten, pinkelnden Affen.
    Peter wurde leider von zwei Polizisten und einem Geistlichen aus seinen Grübeleien gerissen. Die beiden Uniformierten drehten ihm die Arme auf den Rücken und führten ihn aus der Wunderwelt der Maschinenhalle hinaus ins Freie. Dort wurde er in ein wartendes, mit Kindern vollgepfropftes Polizeiauto verfrachtet und zum Heim für geistig behinderte Kinder des Reverend Overweary gefahren.
    Überall in der Stadt gab es elternlose Kinder, die sich wie Kaninchen zusammenscharten. Tagsüber schliefen sie in Mülltonnen oder verlassenen Kellerlöchern, aber nachts, wenn die Kälte sie zwang, sich zu bewegen, stürzten sie sich in allerlei Abenteuer und ließen sich in ihrer Not auf Dinge ein, die Kindern noch nie gutgetan haben und die ihnen auch nie guttun werden. In der Stadt gab es mehr als eine halbe Million solcher Kinder. Schneller als Erwachsene erlagen sie ansteckenden Krankheiten oder wurden das Opfer von Gewaltverbrechen, sodass auf dem Armenfriedhof immer wieder erschütternd kleine Särge in die Erde hinabgelassen wurden. Meistens waren die Namen der toten Kinder nicht bekannt. Vielleicht hatten viele keinen. Aber es gab gutherzige Menschen, die sich immer wieder fragten: Was passiert mit all den Kindern? Damit meinten sie die kleinen Herumtreiber, die im Sommer und im Winter die Straßen der Stadt bevölkerten. Ein Teil von ihnen verrichtete irgendwelche Arbeiten oder lebte vom Stehlen, ein anderer Teil wanderte von einem Erziehungsheim zum andern, und der Rest fand irgendwo draußen vor der Stadt auf dem Armenfriedhof ein kühles Grab.
    Es gab Kinder, die den Verstand verloren hatten und ziellos durch die Straßen streiften. Für diese armen Seelen war das Heim des Reverend Overweary zuständig. Es gewährte ihnen Unterkunft und gab ihnen die Möglichkeit, etwas zu lernen.
    Als Reverend Overwearys Gehilfen wieder einmal eine

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