Wintermörder - Roman
vor sich selbst.
Seine linke Hand hob das Handy an das Ohr. Ein leises Brummen zeigte an, dass er eine Nachricht erhalten hatte. Seine Finger versuchten, sich langsam auf dem Nummernfeld zu orientieren.
Er schloss die Augen.
Sie haben eine neue Sprachnachricht. Drücken Sie die 1
.
Sein Zeigefinger wanderte über die Tasten.
Erste neue Sprachnachricht
. Die Stimme hörte sich an, wie die Flugbegleiterin aussah.
Dann seine eigene Stimme:
Udo Jost
. Sie klang heiser und passte dazu, wie er sich unrasiert fühlte.
Schließlich, er konnte es kaum glauben, ging seine Rechnung auf.
Die Nachricht lautete: »Kommen Sie nach Krakau.«
Mehr nicht.
30
Denise bereute schnell, kein Taxi genommen zu haben, um zur Polizeistation in Kazimierz zu kommen. Sie hatte keine Zeit zu verlieren. Der Mut, den sie letzte Nacht empfunden hatte, war aus der Angst geboren und ein Gespenst der Dunkelheit gewesen. Jetzt bei Tageslicht erschien es ihr wieder sinnlos, hierhergekommen zu sein. Automatisch prüfte sie, ob sie eine Nachricht auf dem Handy erhalten hatte. Oliver, ihr Vater und Myriam bombardierten sie auf der Mailbox. Sie war ständig damit beschäftigt, die Nachrichten zu löschen.
Das Gebäude, in dem die Polizei untergebracht war, hatte nur drei Stockwerke und lag auf dem Szerokaplatz nicht weit vom Einkaufszentrum entfernt. Drei blaue Polizeiwagen standen vor der Tür. Das Haus war offenbar erst vor kurzem renoviert worden wie die meisten der Häuser hier. Eine Kneipe reihte sich neben die andere, ein Restaurant neben das andere. Eine Touristengruppe näherte sich ihr, machte jedoch zwanzig Meter vor ihr Halt und folgte, trotz der Kälte, aufmerksam den Erklärungen der Fremdenführerin. Denise verstand, dass sie vor dem ehemaligen jüdischen Friedhof standen, und erst jetzt sah sie die Grabsteine hinter der hohen weißen Mauer.
Sie wandte sich ab. Jeder hatte sein eigenes Unglück.
Im Innern des Polizeigebäudes war es völlig ruhig. Niemand war zu sehen. Die Loge des Pförtners war leer. Nur ein leerer Teller mit Resten von Kuchen stand auf dem Schreibtisch.
Automatisch ging sie die Treppe nach oben.
Hier roch es nach Kaffee, und jetzt waren hinter den Türen auch Stimmen zu hören. Jemand erzählte laut, anschließend setzte Lachen ein.
Sie klopfte, und da niemand sie zu hören schien, öffnete sie die Tür. In dem engen Büro stand eine Gruppe Männer, teilweise uniformiert, um einen Schreibtisch herum. Sie hatten Sektgläser in der Hand, und auf einem weißen Tischtuch standen zahlreiche Platten mit Kuchen.
»Entschuldigen Sie«, sagte Denise in die Unterhaltung hinein. »Ich suche Herrn Matecki. Matecki.«
Alle starrten sie an, bis sich aus der Gruppe ein Mann löste, auf sie zutrat und sie abwartend anblickte.
»Sind Sie Herr Matecki?«
»Tak.«
Der Mann war zwischen fünfundvierzig und fünfzig, vielleicht sogar älter. Er war schwer zu schätzen, denn er wirkte übernächtigt und erschöpft. Er trug die blonden Haare, blass wie seine Haut, streng nach hinten gekämmt, was das schmale Gesicht betonte, das nur aus Knochen zu bestehen schien.
»Sie sprechen Deutsch?«, fragte Denise. Sie hatte gehört, wie Liebler es zu Myriam gesagt hatte.
»Ja.« Die tiefe Stimme klang heiser, als sei er erkältet. »Was kann ich für Sie tun?«
»Kommissar Liebler aus Frankfurt hat mir gesagt, ich kann mich an Sie wenden. Es geht um meinen Sohn.«
Er reagierte nicht, sondern starrte sie lediglich an, was sie verunsicherte. Hatte er sie nicht verstanden?
Seine Kollegen schauten zu ihnen herüber.
»Kommen Sie.« Matecki schob sie auf den Flur und öffnete gegenüber eine Tür.»Hier ist mein Büro. Nehmen Sie Platz.«
Während Denise Platz nahm, wandte Matecki ihr den Rücken zu und trat ans Fenster. Dort verharrte er, starrte einige Minuten schweigend auf den Platz vor dem Gebäude und drehte sich dann plötzlich um. Er lächelte: »Jetzt fällt es mir wieder ein. Firma Winkler, ja? Winklerbau. Der Brand vor einem Jahr. Ich erkenne Sie wieder. Sie waren dort auf der Baustelle. Sie trugen ein weißes Kleid.«
Verwundert nickte Denise. »Waren Sie dort?«
»Natürlich. Die Feuerwehr war dort und die Polizei.«
»Dann können Sie mir helfen. Mein Mann«, Denise zögerte, »er hat mir nie erzählt, was die Brandursache war. Inzwischen ist viel passiert, meine Großmutter … sie wurde ermordet und …«
»Ihr Sohn wurde entführt«, stellte er nüchtern fest. »Ich weiß.«
»Deswegen bin ich hier. Ich glaube,
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