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Wintermörder - Roman

Titel: Wintermörder - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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gehabt.
    Eine Touristengruppe, die von einer jungen Frau im hellbraunen Pelzmantel und einer Fahne in der Hand angeführt wurde, bewegte sich in Richtung der Brüstung. Er mischte sich darunter. Nicht weit von Denise Winkler blieb die Gruppe stehen, und die Fremdenführerin begann, ihren Vortrag auf Englisch zu halten, mit einem Akzent, der so erotisch auf Jost wirkte, dass er die Kälte vergaß. Er schenkte der Fremdenführerin ein Lächeln, verbeugte sich kurz und tat, als wolle er ihr die Hand küssen. Sie lächelte ihm zu. Er hob das Handy hoch, als wolle er die Gruppe fotografieren, stattdessen nahm er Denise Winkler ins Visier.
    Nachdem er ein Bild nach dem anderen aufgenommen hatte, stellte er sich neben sie, um möglichst unauffällig einen Blick auf sie zu werfen. Er wollte wissen, ob sie litt.
    Ihr Gesicht war wie versteinert und schien nichts wahrzunehmen, was außerhalb von ihr geschah.
    Gern hätte er ihr erzählt, dass er sein Geld opferte, um ihr ein Lebenszeichen ihres Sohnes zu bringen. Lachen könnte er, so absurd erschien ihm das alles.
    Als sie den Kopf zur Seite drehte, um die Stadt in seiner Richtung zu betrachten, wollte er wieder auf den Auslöseknopf drücken, als er plötzlich merkte, dass seine Hand zitterte.
    Sein Handy vibrierte. Er fühlte das heftige Pochen seines Herzens, als er auf die Taste drückte.
    »Jost.«
    »Wo sind Sie?«, fragte die Stimme, deren Kühnheit ihm inzwischen vertraut war.
    »In Krakau.«
    »In einer Stunde, an der Pilsudskibrücke.«
    Jost hatte keine Chance zu antworten. Der Anrufer hatte wieder aufgelegt.
    Fast hätte er laut gelacht. Er würde das Lebenszeichen bekommen. Der Zeitpunkt war perfekt. Der Bericht von hier oben würde ein Knüller werden. Dazu die Fotos von Denise Winkler. Ihm war plötzlich heiß, als hätte er Fieber. Er war wahnsinnig, aber seit langem hatte er sich nicht mehr so erregt gefühlt.

33
    Erschöpft und völlig hoffnungslos konnte Denise Winkler sich nicht entscheiden, ob sie die Adressen in ihrer Tasche
    tatsächlich aufsuchen sollte. Die Vorstellung, nach dem Besuch im Polizeirevier, erneut Menschen zu begegnen, die vollkommen verständnislos auf ihr Anliegen reagierten, ging an ihre Grenze. Wie jemandem ihr Unglück begreiflich machen? Konnte man an fremden Haustüren klingeln und sagen: »Mein Sohn wurde entführt. Bitte helfen Sie mir.«
    Jeder würde sie zur Polizei schicken, von der sie gerade kam.
    Langsam ging sie die Stufen auf der Rückseite der Burg hinunter in die Stadt. Ab und zu traf sie ein Blick von Leuten, die sich wunderten, dass sie bei dieser Kälte mit offenem Mantel durch die Stadt lief. Doch sie fror nicht.
    Sie versuchte, sich auf dem Stadtplan zu orientieren. Von hier aus war es nicht weit nach Kazimierz. Sie wandte sich automatisch nach rechts.
    Sie würde ein eigenes Gutachten über die Brandursache erstellen lassen. Oliver sollte dafür bezahlen, dass er im Namen ihrer Firma die Versicherung betrogen hatte. Es musste Schluss sein damit, dass der Name Winkler für seine Ambitionen bezahlen musste. Wenn sie Frederik gefunden hatte, würde sie wieder die Leitung des Unternehmens übernehmen. Sie war sicher, dass sie auf ihren Vater zählen konnte. Es gab so viel zu tun, auch hier in der Stadt. Sie würde alles wieder ins Lot bringen.
    Der Gedanke, dass es womöglich Oliver gewesen war, der die Ereignisse ausgelöst hatte, ließ die Wut wieder in ihr hochkommen. Die Heftigkeit, mit der die Aggressionen und die Verbitterung an die Oberfläche kamen, erschreckte sie. Sie hätte nicht gedacht, dass sie zu solchem Hass fähig sein könnte.
    Das Laufen tat gut. Der Wind, der aufgekommen war, betäubte das Gefühl und nahm den Schmerz. Sie sah die Ruine des Einkaufszentrums schon von weitem. Der Gebäudekomplex lag verlassen da. Eine riesige Ruine. Denise glaubte, noch den Rauch zu riechen, den Funkenregen zu spüren, die gewaltigen Flammen, die das ganze Viertel in ein glühendes Rot getaucht hatten. Die Verglasung der Frontseite war in der Hitze des Feuers vollständig geplatzt. Dahinter waren schwarze Rahmen stehen geblieben. Man hatte versucht, sie notdürftig mit großen Planen abzudecken, doch der Schnee der vergangenen Monate hatte sich hier und da in der Plane festgesetzt, die an diesen Stellen durch das Gewicht abgerissen war. Niemand kümmerte sich darum. Der Rest der Gebäude war schwarz vom Rauch. Das Dach teilweise eingestürzt. Damals hatte sie sich keine Gedanken gemacht, doch jetzt bemerkte sie,

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