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Wintermörder - Roman

Titel: Wintermörder - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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Staatsanwältin geworden, wenn du eigentlich lieber die Arbeit der Polizei machst?«
    »Es genügt nicht nur, gegen jemanden Beweise zu sammeln. Ich möchte auch sehen, dass er verurteilt wird.«

32
    Jost konnte nicht begreifen, weshalb Menschen diese Stadt schön fanden. Die Straßen waren schmutzig und dunkel von der Kohle, mit der im Winter geheizt wurde. Außerdem stank die Luft nach Teer. Schwarze Schneehügel stapelten sich am Rande des Bürgersteiges, machten den Weg schmal. Der Ruß schwärzte die Fassaden. Selbst Gebäude, erst vor kurzem frisch renoviert, in Gelb- und Ockertönen gestrichen, zeigten bereits nach kurzem graue Streifen vom Regen.
    Und die Menschen? Sie zogen die Schultern hoch und hielten den Kopf gebeugt. Als ob hier niemand dem anderen ins Gesicht sehen wollte. Auch die Häuser wirkten verschlossen, als hätten sich die Bewohner dahinter verbarrikadiert.
    Das Schwarz seiner Kleidung war eine geeignete Tarnfarbe. Allerdings war sein Mantel zu dünn und nicht für diese Temperaturen geeignet, sondern für Frankfurt, wo er jede Strecke mit dem Auto fuhr.
    Am Flughafen hatte er ein Zimmer im Hotel Cracovia gebucht, einem sozialistischen Klotz im Stil der sechziger Jahre, dessen Personal nach dem Sozialismus nicht ausgetauscht worden war. Die Dame am Empfang begrüßte ihn freundlich. Als er nach dem Weg zum Wawel fragte, führte sie sich so aufdringlich zuvorkommend auf, dass er Angst hatte, auch ihre Stimme würde nie wieder aus seinem Ohr verschwinden wie all diese Stimmen, die seit Tagen in seinen Kopf krochen und schamlos über ihn sprachen.
    Es dauerte circa zwanzig Minuten, bis er endlich an dem Weg stand, der hoch zum Schloss führte. Links erhob sich eine rote Backsteinmauer, was dem Burgkomplex das Aussehen einer Festung verlieh.
    Als er durch das erste Tor trat, las er auf einem Schild den Namen
Hans Frank
.
    Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Die Geschichte war Realität geworden. Hier war der Generalgouverneur entlangmarschiert, seine Frau im weißen Pelz als »Königin von Polen« mit dem Wagen hochgefahren, wenn sie vom Einkaufen zurückkam. Deutsche Soldaten hatten hier Wache gehalten.
    Er ging den Weg hinauf, bis er auf den Schlosshof kam, der links von dem Kirchenkomplex beherrscht wurde, rechts von dem ehemaligen Spital. Die Bastei, auf der das Foto mit Hans Frank und Oskar Winkler entstanden war, musste auf der anderen Seite rechts liegen. Er überquerte den Platz. Eine Gruppe von Schülern folgte gelangweilt und frierend der Lehrerin in Richtung der Kirchen.
    Vor ihm bot sich ein weiter Ausblick auf den Südwesten der Stadt und die Weichsel, die sich in einem weiten Bogen um die Stadt wand.
    Hatten Hans Frank und Oskar Winkler hier gestanden, um Pläne zu schmieden?
    Worüber hatten sie gesprochen?
    Was Männer immer reden? Die politische Lage, der Krieg. Die besten Restaurants der Stadt und Frauen!
    Was war es für ein Gefühl, dass die ganze Stadt einem zu Füßen lag? Jost hatte plötzlich eine Vorstellung davon, wie Macht sich anfühlte. Wirkliche Macht, nicht die läppische Aufregung, die er als Journalist hervorrufen konnte.
    Er schaute sich nach einer geeigneten Stelle um, von der aus er den Bericht senden würde. Er hatte sich mit dem Kamerateam gegen vier Uhr am Nachmittag verabredet. Er wollte den Sonnenuntergang in seinem Bericht haben als Symbol für den Untergang einer Familie.
    Er wandte sich wieder dem Schlosshof zu und ging in Richtung des Nebengebäudes, in dem sich ein Souvenirladen befand. Jost beschloss, einen Stadtführer zu kaufen. Vielleicht bekam er dort Informationen über die Umbauten auf dem Wawel, die der Schlächter von Polen vorgenommen hatte.
    Er wollte gerade die Tür öffnen, als er in der Mitte des Platzes eine Frau auf sich zukommen sah. Sie trug Jeans, schwarze Stiefel und einen braun-grün karierten Winter-mantel, der knapp über den Knien endete. Er stand offen. Ein grünes Stirnband schützte sie kaum vor der Kälte. Sie warf keinen Blick auf die Kirchen, die Anlage der Burg, sondern eilte Richtung Brüstung, von der Jost gerade kam.
    Er verfolgte sie mit Blicken, doch sie achtete nicht auf ihn. Glück ist die Steigerung von Zufall. Er hatte nicht geglaubt, Denise Winkler so bald zu begegnen. Seine Entscheidung war richtig gewesen, auf die Festungsanlage zu gehen, denn hier begann die Geschichte, die der Entführer erzählen wollte. Sein Instinkt ließ ihn immer noch nicht im Stich. Denise Winkler hatte denselben Gedanken

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