Wintermond
Farmerjungen. Was kommt danach? Hühner?«
»Eine Kuh«, sagte Toby. »Ich habe darüber nachgedacht, was du über Kühe gesagt hast, und du hast mich überredet.«
»Klugscheißer«, sagte Jack und schlug verspielt nach dem Jungen.
Toby wich dem Knuff aus und lachte. »Wie der Vater, so der Sohn. Mr. Youngblood, haben Sie gewußt, daß mein Vater behauptet, man könne Kühen alle Tricks beibringen, die auch Hunde beherrschen Männchen machen, sich totstellen und so weiter?«
»Na ja«, erwiderte der Anwalt und führte sie durch den Stall zur Tür, durch die sie hereingekommen waren, »ich kenne einen Stier, der auf den Hinterbeinen laufen kann.«
»Wirklich?«
»Und nicht nur das. Er kann genauso gut im Kopf rechnen wie du oder ich.«
Der Anwalt sprach diese Behauptung mit ruhiger Überzeugung aus, so daß Toby mit großen Augen zu ihm hochsah. »Sie meinen, man stellt ihm eine Aufgabe, und er klopft die Lösung mit dem Huf?«
»Klar könnte er das. Oder er sagt dir die Lösung einfach.«
»Was?«
»Dieser Stier kann sprechen.«
»Unmöglich«, sagte Toby und folgte Jack und Heather hinaus.
»Klar doch. Er kann sprechen, tanzen, Auto fahren und geht jeden Sonntag in die Kirche«, sagte Paul und schaltete das Licht im Stall aus. »Er heißt Lester Stier, und ihm gehört das Lokal in der Hauptstraße in der Stadt.«
»Das ist ein Mann!«
»Natürlich ist es ein Mann«, sagte Paul und zog die große Tür zu. »Ich hab nie was anderes behauptet.« Der Anwalt blinzelte Heather zu, und ihr wurde klar, wie sehr sie ihn in so kurzer Zeit schätzen gelernt hatte.
»Ach, sind Sie gewitzt«, sagte Toby zu Paul. »Dad, er ist gewitzt.«
»Ich doch nicht«, sagte Paul. »Ich habe dir nur die Wahrheit gesagt, Scout. Du hast dich selbst ausgetrickst.«
»Paul ist Anwalt, mein Sohn«, sagte Jack. »Du mußt vor Anwälten immer auf der Hut sein, oder du stehst am Ende ohne Ponies oder Kühe da.«
Paul lachte. »Hör auf deinen Dad. Er ist klug. Sehr klug.«
Draußen war von der Sonne nur noch eine orangenfarbene Scheibe zu sehen, und innerhalb von ein paar Sekunden hatte die unregelmäßig geformte Klinge der Berggipfel sie abgeschält. Die Schatten wuchsen zusammen. Das trübe Zwielicht - überall dunkelblaue und purpurne Schattierungen - deutete darauf hin, wie erbarmungslos dunkel die Nacht in dieser größtenteils unbewohnten Weite sein würde. Paul sah den Hang hinauf, der hinter dem Stall begann, zu einem Grashügel am Rand des Waldes im Westen. »Hat bei dem schlechten Licht keinen Zweck, Ihnen den Friedhof zu zeigen«, sagte er. »Da ist aber selbst am Mittag nicht viel zu sehen.«
»Ein Friedhof?« sagte Jack stirnrunzelnd.
»Sie haben die staatliche Genehmigung, einen Privatfriedhof auf Ihrem Besitz anzulegen«, sagte der Anwalt. »Zwölf Grabstellen, aber nur vier wurden angelegt.«
Heather sah zu dem Grashügel hinauf, auf dem sie in der Dunkelheit undeutlich einen Teil einer niedrigen Steinmauer und zwei Torpfosten ausmachen konnte. »Wer liegt da begraben?« fragte sie.
»Stan Quartermass, Ed Fernandez, Margarite und Tommy.«
»Tommy, mein alter Partner, liegt da oben begraben?« fragte Jack.
»Ein Privatfriedhof«, sagte Heather. Sie redete sich ein, sie zittere nur, weil die Luft von Minute zu Minute kälter wurde.
»Das ist etwas makaber.«
»Hier in dieser Gegend ist das gar nicht so seltsam«, versicherte Paul ihr. »Viele dieser Ranchen befinden sich schon seit Generationen im Familienbesitz. So eine Ranch ist nicht nur das Heim der Menschen, sie ist ihre Heimatstadt, der einzige Ort, den sie lieben. Eagle's Roost ist nur ein Kaff, in dem man einkaufen geht. Wenn es um die ewige Ruhe geht, wollen sie Teil des Landes sein, dem sie ihr Leben gewidmet haben.«
»Mann«, sagte Toby. »Das ist ja richtig cool. Wir wohnen auf einem Friedhof.«
»Das wohl kaum«, sagte Paul. »Meine Großeltern und Eltern liegen drüben auf unserem Besitz begraben, und daran ist wirklich nichts Unheimliches. Es ist eher ein Trost. Gibt einem das Gefühl, hier herzukommen und auch dazuzugehören. Carolyn und ich wollen auch mal dort begraben werden, wenngleich ich nicht sagen kann, was unsere Kinder mal vorhaben. Sie studieren Medizin und Jura und bauen sich jeder ein ganz neues Leben auf, das nichts mehr mit der Ranch zu tun hat.«
»So'n Mist, wir haben gerade Halloween verpaßt«, sagte Toby, aber eher zu sich selbst als zu den Erwachsenen. Er sah zu dem Friedhof hinauf und stellte sich gerade die
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