Wintermond
Herz brechen - oder einen arm machen können, wenn man von dieser Rasse fasziniert ist.«
»Keine Kühe?« fragte Toby, als sie den Kopf der Treppe erreichten, die zu der langen, tiefen Veranda vor dem Haus hinaufführte .
»Tut mir leid, Scout, keine Kühe«, sagte der Anwalt. »Ziemlich viele Ranchen in der Nähe haben Kühe, aber wir nicht. Doch wir haben immerhin Cowboys.« Er deutete auf ein paar Bungalows, hinter deren Fenstern Licht brannte. Sie lagen vielleicht hundertzwanzig Meter östlich vom Haus. »Zur Zeit leben achtzehn Viehhirten hier auf der Ranch, mit ihren Frauen, falls sie verheiratet sind. Gewissermaßen eine kleine Stadt für sich.«
»Cowboys«, sagte Toby reit dem ehrfürchtigen Tonfall, mit dem er auch von dem Privatfriedhof und der Aussicht, ein Pony zu bekommen, gesprochen hatte. Montana war für ihn so exotisch wie ein ferner Planet in den Comics und Science-Fiction-Filmen, die er gern las und sah. »Echte Cowboys.«
Carolyn Youngblood begrüßte die Gäste an der Tür und hieß sie herzlich willkommen. Wenn sie die Mutter von Pauls Kindern war, mußte sie in seinem Alter sein, um die fünfzig Jahre, aber sie sah viel jünger aus und benahm sich auch so. Sie trug enge Jeans und ein dekorativ besticktes, rotweißes Hemd im Westernstil. Die Kleidung enthüllte die schlanke, straffe Figur einer sportlichen Dreißigjährigen. Ihr schneeweißes Haar war zu einem pflegeleichten Bubikopf geschnitten und keineswegs spröde, wie es bei weißem Haar so oft der Fall war, sondern dicht und weich und glänzend. Ihr Gesicht war bei weitem nicht so faltig wie das von Paul, und ihre Haut war seidenglatt. Wenn das Leben auf einer ländlichen Ranch in Monatana so etwas für eine Frau bewerkstelligen konnte, dachte Heather bei sich, dann konnte sie jede Abneigung gegen die entnervend weiten offenen Flächen überwinden, und gegen die überwältigende Nacht, gegen die Unheimlichkeit der Wälder und sogar gegen die neue Erfahrung, daß in einer entlegenen Ecke ihres Hinterhofs vier Leichen lagen. Als Jack und Paul nach dem Essen ein paar Minuten lang im Arbeitszimmer allein waren, jeder mit einem Glas Portwein gewappnet, und die vielen eingerahmten Fotos der mit Preisen bedachten Pferde betrachteten, die eine der knorrigen Kiefernwände fast völlig bedeckten, wechselte der Anwalt plötzlich das Thema von Pferdeblutlinien und Rennchampions auf die Quartermass-Ranch. »Ich bin sicher, ihr werdet dort glücklich sein, Jack.«
»Das denke ich auch.«
»Ein wunderbarer Ort für einen Jungen wie Toby, um dort aufzuwachsen.«
»Ein Hund, ein Pony - als wäre für ihn ein Traum wahr geworden.«
»Wunderschönes Land.«
»Und so friedlich im Vergleich zu L. A. Verdammt, daß kann man einfach nicht vergleichen.«
Paul machte den Mund auf, um etwas zu sagen, zögerte und betrachtete statt dessen das Foto des Pferdes, bei dem er seine farbige Schilderung der Triumphe, die die Pferde der Ponderosa auf der Rennbahn errungen hatten, abgebrochen hatte. Als der Anwalt dann fortfuhr, hatte Jack den Eindruck, daß er nicht das sagte, was er vor dem kurzen Zögern hatte sagen wollen.
»Und obwohl wir nicht gerade Tür an Tür wohnen, Jack, hoffe ich, daß wir uns doch oft genug sehen, um uns richtig kennenzulernen.«
»Das hoffe ich auch.«
Der Anwalt zögerte erneut und nippte an seinem Glas, um seine Unentschlossenheit zu überspielen. Nachdem Jack ebenfalls einen Schluck getrunken hatte, sagte er: »Ist etwas nicht in Ordnung, Paul?«
»Nein, das nicht gerade, nur...wie kommen Sie darauf?«
»Ich bin ziemlich lange Polizist gewesen. Ich habe eine Art sechsten Sinn dafür, wenn jemand etwas zurückhält.«
»Ja, den Eindruck habe ich auch. Wären Sie ein Geschäftsmann, würde Ihnen das wohl helfen, sich nicht auf einen faulen Handel einzulassen.«
»Was ist also los?«
Seufzend setzte Paul sich auf eine Ecke seines großen Schreibtisches. »Ich weiß nicht, ob ich das überhaupt erwähnen soll, denn ich will nicht, daß Sie sich darüber Sorgen machen, ich glaube nicht, daß dazu überhaupt Grund besteht.«
»Ja?«
»Ed Fernandez ist an einem Herzanfall gestorben, wie ich es Ihnen geschrieben habe. Ein starker Anfall, er starb so plötzlich und so schnell, als hätte man ihm eine Kugel in den Kopf geschossen. Der Leichenbeschauer hat nichts anderes gefunden, nur das Herz.«
»Leichenbeschauer? Wollen Sie damit sagen, daß eine Autopsie vorgenommen wurde?«
»Ja, sicher«, sagte Paul und nippte an seinem
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