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Wintermond

Wintermond

Titel: Wintermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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schnell verblichen, daß er sich nicht einmal mehr deutlich an die Kraft erinnern konnte, die er wahrgenommen hatte. Ein harter grauer Himmel, aus dem sämtliche blaue Fetzen hinter den Horizont verschwunden waren, Bäume, die im kalten Wind zitterten, braunes Gras, samtene Schatten, Frisbeewerfen, heiße Schokolade: Die ganze Welt wartete auf die ersten Schneeflocken des Winters, und nichts an diesem Novembertag gemahnte an die Möglichkeit, daß es Geister gab, entkörperte Wesenheiten, Besessenheit oder irgendein anderes übernatürliches Phänomen.
    »Spielen wir noch etwas, Dad?« fragte Toby und schwang den Frisbee.
    »Na schön, noch ein paar Minuten. Aber nicht hier. Nicht auf diesem...«
    Es hätte so dumm geklungen, nicht auf diesem Friedhof zu sagen. Da hätte er gleich wieder den Affen machen und eine dieser Oberblendungen aus den alten Filmen nachspielen können: »Beine, laßt mich nicht jetzt im Stich!«
    »Nicht so nah am Wald« sagte er statt dessen. »Vielleicht gehen wir lieber zu den Ställen runter.«
    Toby hob die Hand mit dem UFO-Frisbee, lief zwischen den torlosen Pfosten hindurch und vom Friedhof. »Der Letzte ist ein Esel! «
    Jack lief seinem Sohn nicht nach. Er zog die Schultern gegen den kalten Wind ein, stieß die Hände in die Anoraktaschen und betrachtete die vier Gräber. Erneut fiel ihm auf, daß lediglich Quartermass' Grabstätte flach und grasbedeckt war- Monströse Gedanken stiegen in ihm empor. Szenen aus alten Filmen mit Boris Karloff. Grabräuber und Ghoule. Entweihung. Satanische Rituale bei Mondschein auf dem Friedhof. Selbst in Anbetracht des Erlebnisses, das er gerade mit Toby gehabt hatte, kamen ihm seine dunkelsten Gedanken zu phantastisch vor, um eine Erklärung zu bieten, warum nur eins der vier Gräber unberührt zu sein schien. Doch er redete sich ein, daß die Erklärung, wenn er sie dann erfuhr, völlig logisch und nicht im geringsten unheimlich sein würde. Bruchstücke des Gesprächs, das er mit Toby geführt hatte, hallten verkürzt in seiner Erinnerung: Was machen sie da unten? Was ist tot? Was ist Leben? Nichts währt ewig. Alles währt ewig. Nichts. Alles wird. Wird zu was? Zu mir. Alles wird zu mir. Jack spürte, daß er genug Stücke hatte, um zumindest einen Teil des Puzzles zusammenzusetzen. Er verstand nur nicht, wie sie zusammenpaßten. Oder wollte er es nicht verstehen? Vielleicht weigerte er sich, sie zusammenzusetzen, weil sogar die wenigen Stücke, die ihm zur Verfügung standen, eine Alptraumfratze enthüllen würden der man besser nicht begegnete. Er wollte es wissen oder glaubte es zumindest, doch sein Unterbewußtsein überstimmte ihn. Als er den Blick von der übel zugerichteten Erde zu den drei Grabsteinen hob, erregte ein flatternder Gegenstand auf Tommys Grabstein seine Aufmerksamkeit. Er klemmte in einem schmalen Spalt zwischen dem horizontalen Sockel und dem vertikalen Stein selbst: eine schwarze Feder, sieben, acht Zentimeter lang, die sich im Wind bewegte. Jack legte den Kopf zurück und blinzelte unbehaglich in das winterliche Gewölbe direkt über ihm. Die Wolken hingen tief. Grau und tot. Wie Asche. Ein Krematoriumshimmel. Doch abgesehen von den Wolkenmassen bewegte sich nichts dabei. Ein schwerer Sturm zog auf. Er wandte sich der einzigen Öffnung in der niedrigen Steinmauer zu, ging zu den Pfosten und sah zu den Ställen hinab. Toby hatte das lange, rechteckige Gebäude fast erreicht. Er kam schlitternd zum Stehen, sah zu seinem saumseligen Vater zurück und winkte. Er warf den Frisbee hoch in die Luft. Die Scheibe hob sich auf ihrer Kante hoch in den Himmel, schwenkte dann nach Süden und wurde von einer Luftströmung erfaßt. Wie ein Raumschiff aus einer anderen Welt wirbelte sie durch den düsteren Himmel. Viel höher, als der Frisbee je aufsteigen würde, kreiste unter den tiefhängenden Wolken ein einsamer Vogel über dem Jungen, wie ein Falke, der nach möglicher Beute Ausschau hielt, obwohl es sich eher um eine Krähe als um einen Falken zu handeln schien. Er kreiste und kreiste. Ein Puzzlestück in Gestalt einer schwarzen Krähe. Sie glitt auf thermischen Winden dahin. Stumm wie ein Pirschjäger in einem Traum, geduldig und geheimnisvoll.

ACHTZEHNTES KAPITEL
    Nachdem Heather ihren Mann gebeten hatte, nachzusehen, was Toby auf denn Friedhof machte, kehrte sie in das Gästezimmer zurück, in dem sie ihre Computer aufgebaut hatte. Sie schaute aus dem Fenster und sah, daß Jack den Hügel zum Friedhof erklomm. Er blieb eine

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