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Wintermond

Wintermond

Titel: Wintermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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mehr. Sie sind jetzt Geister.«
    »Verstehe nicht.«
    »Sicher verstehst du. Seelen. Ihre Seelen sind in den Himmel gefahren.«
    »Körper sind.«
    »Sind jetzt bei Gott im Himmel.«Toby sah durch ihn hindurch. Doch tief in Tobys Augen bewegte sich etwas, wie ein sich zusammenrollender Rauchfaden. Jack hatte das Gefühl, daß etwas ihn eindringlich musterte.
    »Körper sind. Puppen sind. Was noch?«
    Jack wußte nicht, was er darauf antworten sollte. Die Brise, die über die Flanke des abschüssigen Hofs wehte, war so kalt, als wäre sie auf dem Weg hierher über einen Gletscher geglitten. Das Toby-Ding wandte sich wieder der ersten Frage zu, die es gestellt hatte. »Was machen sie da unten?«
    Jack sah zu den Gräbern, dann in die Augen des Jungen und entschloß sich, offen und ehrlich zu sein. Er sprach in Wirklichkeit nicht mit einem kleinen Jungen, also konnte er auf Euphemismen verzichten. Oder war er verrückt und bildete er sich das ganze Gespräch wie auch die unmenschliche Präsenz nur ein? So oder so, es spielte keine Rolle, was er sagte. »Sie sind tot.«
    »Was ist tot?«
    »Sie sind es. Diese vier Leute, die hier begraben liegen.«
    »Was ist tot?«
    »Leblos.«
    »Was ist leblos?«
    »Ohne Leben.«
    »Was ist Leben?«
    »Der Gegensatz von Tod.«
    »Was ist Tod?«
    »Leer, hohl, vermodert«, sagte Jack verzweifelt.
    »Leichen verfaulen.«
    »Nicht auf ewig.«
    »Leichen vermodern.«
    »Nichts währt ewig.«
    »Alles währt ewig.«
    »Nichts.«
    »Alles wird.«
    »Wird zu was?« fragte Jack. Er war nun nicht mehr imstande, Antworten zu geben, er war selbst voller Fragen.
    »Alles wird«, wiederholte das Toby-Ding.
    »Wird zu was?«
    »Zu mir. Alles wird zu mir.«
    Jack fragte sich, womit, zum Teufel, er sprach und ob die Worte für diese Wesenheit mehr Sinn ergaben als für ihn. Er bezweifelte allmählich, daß er selbst überhaupt wach war. Vielleicht hielt er gerade ein Mittagsschläfchen. Wenn er nicht verrückt war, schlief er vielleicht. Er schnarchte im Sessel im Arbeitszimmer vor sich hin, mit einem Buch auf dem Schoß. Vielleicht war Heather niemals zu ihm gekommen, um ihm zu sagen, daß Toby auf dem Friedhof war, und in diesem Fall mußte er nur aufwachen. Der Wind fühlte sich allerdings wirklich an. Nicht wie ein Traumwind. Kalt und stechend. Und er war so kräftig geworden, daß er nun eine Stimme hatte. Er flüsterte im Gras, rauschte in den Bäumen am Waldrand und raschelte leise.
    »In der Schwebe«, sagte das Toby-Ding.
    »Was?«
    »Anderer Schlaf.«
    Jack sah zu den Gräbern. »Nein.«
    »Sie warten.«
    »Nein.«
    »Puppen warten.«
    »Nein. Tot.«
    »Sag mir ihr Geheimnis.«
    »Tot.«
    »Das Geheimnis.«
    »Sie sind einfach tot.«
    »Sag es mir.«
    »Da gibt es nichts zu sagen.«
    Der Gesichtsausdruck des Jungen war noch immer ruhig, doch die Haut hatte sich gerötet. Die Arterien pochten deutlich sichtbar in seinen Schläfen, als wäre sein Blutdruck gerade gewaltig in die Höhe geschossen.
    »Sag es mir!«
    Jack zitterte unbeherrscht, und die rätselhafte Natur ihres Wortwechsels jagte ihm immer mehr Angst ein. Er befürchtete, daß er die Situation noch weniger durchschaute, als er vermutete, und seine Unwissenheit ihn vielleicht dazu brachte, das Falsche zu sagen und Toby in noch größere Gefahr zu bringen, als er sowieso schon ausgesetzt war.
    »Sag es mir!«
    Überwältigt vor Furcht, Verwirrung und Frustration, packte Jack seinen Sohn an den Schultern und starrte in seine fremden Augen.
    »Wer bist du?«
    Keine Antwort.
    »Was ist mit meinem Toby passiert?«
    Nach einem langen Schweigen: »Was ist los, Dad?«
    Jacks Kopfhaut prickelte. Von diesem Ding, diesem verhaßten Eindringling, »Dad« genannt zu werden, war die bislang schwerste Beleidigung.
    »Dad?«
    »Hör auf damit.«
    »Daddy, was ist los?«
    Aber das war nicht Toby. Auf keinen Fall. Die Stimme hatte noch irnmer nicht die natürliche Betonung, das Gesicht war schlaff, und die Augen waren auch nicht richtig.
    »Dad, was machst du?«
    Das Ding, das von Toby Besitz ergriffen hatte, hatte anscheinend nicht erkannt, daß seine Maskerade durchschaut worden war. Bis jetzt hatte es angenommen, Jack glaubte, mit seinem Sohn zu sprechen. Der Parasit versuchte, seine Vorstellung zu verbessern.
    »Dad, was habe ich getan? Bist du böse auf mich? Ich habe doch nichts gemacht, Dad, wirklich nicht.«
    »Was bist du?« fragte Jack.
    Tränen flossen aus den Augen des Jungen. Doch hinter diesen Tränen steckte das nebulöse Etwas, ein

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