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Wintermond

Wintermond

Titel: Wintermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Mitternacht, in der ersten Stunde des dritten Mai, von diesem bedrohlichen und rhythmischen Pulsieren geweckt. Das Geräusch war nicht lauter als die ersten beiden Male, doch die Druckwellen, die jeden Pulsschlag begleiteten, waren anderthalbmal so stark wie die bisherigen. Das Haus erzitterte bis in die Grundmauern, der Schaukelstuhl in der Ecke schwang hin und her, als hätte ein hyperaktiver Geist einen übermenschlich starken Wutanfall erlitten, und ein Bild flog von der Wand und prallte zu Boden. Als er die Lampe eingeschaltet, die Bettdecke zurückgeworfen hatte und aufgestanden war, spürte Eduardo, daß er in einen tranceähnlichen Zustand gelullt wurde, der dem ähnelte, in den er im Vormonat versetzt worden war. Falls er ihm vollständig erliegen sollte, würde er irgendwann aufwachen und feststellen, daß er das Haus verlassen hatte, ohne sich auch nur eines einzigen Schrittes bewußt geworden zu sein. Er griff nach dem Discman, schob den Kopfhörer über die Ohren und drückte auf den Abspielknopf. Die Musik der Gruppe Wormheart überfiel ihn. Er vermutete, daß das überirdische Pochen auf einer Frequenz kam, die einen natürlichen hypnotischen Einfluß ausübte. Deshalb hoffte er, dem tranceähnlichen Einfluß begegnen zu können, indem er das mesmerische Geräusch mit einem genügend chaotischen Lärm abblockte. Er drehte die Lautstärke der CD auf, bis er weder das tiefe Pochen noch die darunterliegende elektronische Schwingung mehr hören konnte. Er war überzeugt, daß seine Trommelfelle kurz vor dem Zerreißen standen; doch dank des schrillen Gekreisches der Heavy-Metal-Band konnte er die Trance abschütteln, bevor sie ihn völlig in ihren Bann zog. Er spürte noch immer die über ihm zusammenbrechenden Druckwellen und sah die Auswirkungen, die sie auf Gegenstände in seiner Nähe hatten. Doch wie er vermutet hatte, löste nur der Ton selbst diese lemmingähnliche Reaktion aus; indem er ihn ausschaltete, konnte ihm in dieser Hinsicht nichts mehr passieren. Nachdem er den Discman an seinem Gürtel befestigt hatte, damit er ihn nicht tragen mußte, schnallte er sich das Halfter mit der .22er um. Er holte die Schrotflinte unter dem Bett hervor, warf sie an ihrem Riemen über seine Schulter, ergriff den Camcorder und stürmte die Treppe hinab und aus dem Haus. Die Nacht war kühl. Der Mond glänzte wie eine silberne Sichel. Das Licht, das von der Baumgruppe und dem Boden am Waldrand ausging, war bereits blutrot; er konnte nicht mehr den geringsten Bernsteinton darin ausmachen. Eduardo blieb auf der Veranda stehen und filmte das unheimliche Leuchten zuerst einmal aus sicherer Entfernung. Er schwenkte die Kamera hin und her, um das Phänomen in die Perspektive zur Landschaft zu bekommen. Dann lief er die Verandatreppe hinab, eilte über den braunen Rasen und stürmte auf das Feld. Er befürchtete, daß das Schauspiel von kürzerer Dauer sein könnte als einen Monat zuvor, genau, wie der zweite Vorfall beträchtlich kürzer, aber wesentlich intensiver als der erste gewesen war. Auf der Wiese blieb er zweimal stehen, um weitere Aufnahmen aus verschiedenen Entfernungen zu machen. Als er dann zehn Meter vor der unheimlichen Strahlung vorsichtig innehielt, fragte er sich, ob der Camcorder überhaupt etwas aufzeichnete oder von der schieren Lichtflut überwältigt wurde. Das wärmelose Feuer war strahlend hell; es schien an einem anderen Ort oder in einer anderen Zeit und Dimension. Druckwellen schlugen auf Eduardo ein. Sie erinnerten nicht mehr an eine kräftige Brandung, sondern waren hart und strafend, beutelten ihn so heftig, daß er sich darauf konzentrieren mußte, nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Erneut wurde er sich bewußt, daß etwas versuchte, sich von Fesseln zu lösen, aus irgendeiner Beschränkung zu brechen und voll entwikkelt über die Welt herzufallen. Das apokalyptische Tosen von Wormheart war die ideale Begleitung für diese Bewegung, brutal wie ein Schmiedehammer, aber aufregend, atonal, aber zwingend, Hymnen an animalische Bedürfnisse, die die Frustrationen menschlicher Begrenzungen zertrümmerten und befreiend wirkten. Es war die dunkelausgelassene Musik des Jüngsten Tages. Das Pochen und das elektronische Winseln mußten im Einklang mit der Helligkeit des Lichts und der Kraft der sich steigernden Druckwellen lauter und kräftiger geworden sein. Er hörte sie wieder und wurde sich bewußt, daß er allmählich von ihnen verführt wurde. Er drehte die Lautstärke der

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