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Wintermond

Wintermond

Titel: Wintermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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manchmal durch Berge bohrte oder in weniger unwegsamem Gelände ein paar Zentimeter über dem Boden verlief, bis sie die Erdkrümmung erreichte, wo sie gerade weiter verlief, ohne Krümmung, ins All hinaus, ein Tunnel zu den Sternen. Als er zu einem Ende des zehn Meter durchmessenden Kleckses ging und ihn von der Seite betrachtete, entdeckte er etwas völlig anderes - aber genauso seltsames - wie das Bild der Pipeline, das er sich vorgestellt hatte. Der Wald lag hinter dem riesigen Portal, unverändert, soweit er sehen konnte; der Mond leuchtete auf ihn hinab, die Bäume erhoben sich, als reagierten sie auf die Liebkosung des silbern schimmernden Lichts, und in der Ferne schrie eine Eule. Die Schwelle verschwand, wenn man sie von der Seite betrachtete. Ihre Breite, falls sie überhaupt eine hatte, war so dünn wie ein Faden oder eine gut geschliffene Rasierklinge. Er ging um das Portal herum auf dessen Rückseite. Von dem Punkt aus betrachtet, der einhundertundachtzig Grad von seiner ersten Position entfernt lag, war die Schwelle der gleiche zehn Meter durchmessende, eigenschaftslose, rätselhafte Kreis. Von dieser Kehrseite aus betrachtet, schien er nicht einen Teil des Waldes, sondern der Wiese und des Hauses auf dem Hang verschluckt zu haben. Er sah aus wie eine große, papierdünne, auf der Kante stehende Münze. Eduardo ging herum und betrachtete ihn noch einmal von der Seite. Aus diesem Blickwinkel konnte er nicht einmal mehr den feinsten Faden übernatürlicher Schwärze ausmachen. Er tastete mit der Hand nach dem Rand, stieß jedoch nur auf Luft. Von der Seite gab es die Schwelle einfach nicht - eine Vorstellung, die ihn benommen machte. Er suchte nach dem unsichtbaren Rand des verdammten Dings, beugte sich dann nach links und sah das, was er für die >Vorderseite< der Schwelle hielt. Er stieß die linke Hand so tief hinein wie zuvor. Seine Kühnheit überraschte ihn, und ihm wurde klar, daß er zu schnell zum Schluß gekommen war, das Phänomen sei harmlos. Die Neugier, die so häufig die Katzen umbrachte - und auch nicht wenige Menschen hatte ihn fest im Griff. Ohne die linke Hand zurückzuziehen, beugte er sich nach rechts und betrachtete die >Rückseite< der Schwelle. Seine Finger waren auf der anderen Seite nicht zum Vorschein gekommen. Er stieß die Hand tiefer in die Vorderseite des Portals, doch sie tauchte trotzdem nicht auf der Rückseite auf. Die Schwelle war so dünn wie eine Rasierklinge, und doch hatte er die Hand und den Unterarm fünfunddreißig bis vierzig Zentimeter tief in sie hineingestoßen. Wo war seine Hand geblieben?
    Zitternd zog er sie aus dem rätselhaften Gebilde zurück und trat auf die Wiese, betrachtete erneut die >Vorderseite< des Portals. Er fragte sich, was mit ihm passierte, wenn er durch die Schwelle treten würde, mit beiden Füßen, vollständig, ohne mit einem Haltestrick mit der Welt verbunden zu sein, die er kannte. Was würde er dahinter entdecken? Würde er imstande sein, wieder zurückzukehren, wenn ihm nicht gefiel, was er dort fand? Um solch einen verhängnisvollen Schritt zu tun, war er allerdings nicht neugierig genug. Er stand an der Schwelle, machte sich Gedanken - und spürte allmählich, daß etwas kam. Bevor er einen Entschluß fassen konnte, schien diese reine Essenz der Dunkelheit sich aus der Schwelle zu ergießen, ein Ozean der Nacht, der ihn in ein trockenes, aber trotzdem erstickendes Meer zerrte. Als Eduardo wieder zu Bewußtsein kam, lag er bäuchlings auf dem toten und niedergedrückten Gras, den Kopf nach links gewandt, und blickte die lange Wiese hinauf zum Haus. Die Dämmerung war noch nicht angebrochen, doch einige Zeit war verstrichen. Der Mond war untergegangen, und ohne seinen silbernen Glanz war die Nacht stumpf und schwarz. Anfangs war der alte Mann verwirrt, doch dann klärte sich das Chaos in seinem Kopf. Er erinnerte sich an die Schwelle. Er rollte sich auf den Rücken und sah zum Wald. Die rasiermesserdünne Münze aus Dunkelheit war verschwunden. Der Wald stand unverändert dort, wo er immer gestanden hatte. Eduardo Fernandez kroch zu der Stelle, wo die Schwelle erschienen war, fragte sich einfältig, ob sie umgestürzt war und nun flach auf dem Boden lag und sich von einer Schwelle in einen bodenlosen Schacht verwandelt hatte. Aber sie war einfach fort. Zitternd und schwach und unter Kopfschmerzen zusammenzuckend, die so intensiv waren, als hätte man ihm einen rotglühenden Draht durch das Gehirn gestoßen, rappelte er sich mühsam

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