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Wintermond

Wintermond

Titel: Wintermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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auf. Er schwankte wie ein Betrunkener, der eine wochenlange Sauftour hinter sich hatte. Er taumelte zu der Stelle, an der er die Videokamera auf den Boden gelegt hatte. Sie war nicht mehr da. Er suchte die Wiese kreisförmig ab und erweiterte das Muster ständig von der Stelle aus, wo der Camcorder eigentlich hätte liegen sollen, bis er sicher war, Stellen erreicht zu haben, die er gar nicht betreten hatte. Die Kamera fand er nicht. Die Schrotflinte war ebenfalls weg. Und der verschmorte Discman mitsamt den Kopfhörern. Zögernd kehrte er zum Haus zurück. Er kochte eine Kanne starken Kaffees. Fast so bitter und schwarz wie Espresso. Mit der ersten Tasse spülte er zwei Aspirin hinab. Normalerweise kochte er einen schwachen Kaffee und beschränkte sich auf zwei oder drei Tassen. Zu viel Koffein konnte Prostatabeschwerden verursachen. An diesem Morgen war ihm scheißegal, ob seine Prostata bis zur Dicke eines Basketballs anschwoll. Er brauchte Kaffee. Er legte das Halfter ab - die Pistole befand sich noch darin - und legte es auf den Küchentisch. Er zog einen Stuhl heran und nahm in Reichweite der Waffe Platz. Er untersuchte mehrmals seine linke Hand, die er durch die Schwelle gestoßen hatte, als befürchtete er, sie würde sich plötzlich in Staub verwandeln. Und warum auch nicht? Wäre das phantastischer als irgend etwas, das sich an diesem Morgen ereignet hatte? Beim ersten Tageslicht schnallte er das Halfter wieder um und kehrte zu der Wiese am Waldrand unter dem Haus zurück, wo er erneut nach der Kamera, der Schrotflinte und dem Discman suchte. Weg. Er würde ohne die Schrotflinte auskommen. Sie war nicht seine einzige Waffe. Der Discman hatte seinen Zweck erfüllt. Er brauchte ihn nicht mehr. Außerdem erinnerte er sich nun, daß Rauch aus dem Gerät gequollen und wie heiß das Gehäuse gewesen war, als er es vom Gürtel gelöst hatte. Er war wahrscheinlich sowieso hinüber. Doch den Camcorder wollte er unbedingt haben, denn ohne ihn hatte er nicht den geringsten Beweis für das, was er gesehen hatte. Vielleicht war er genau aus diesem Grund entfernt worden. Nachdem er ins Haus zurückgekehrt war, setzte er erneut Kaffee auf. Wofür, zum Teufel, brauchte er schon eine Prostata? Aus dem Schreibtisch im Arbeitszimmer holte er ein paar Kugelschreiber und einen Notizblock im Format DIN A5 mit gelbem liniertem Papier. Er setzte sich an den Küchentisch, machte sich über die zweite Kanne Kaffee her und füllte die Seiten mit seiner ordentlichen, kräftigen Handschrift. Auf der ersten Seite begann er mit den Worten:
    Mein Name ist Eduardo Fernandez, und ich bin Zeuge einer Reihe seltsamer und beunruhigender Ereignisse geworden. Ich bin kein großer Tagebuchschreiber. Ich habe mir schon oft vorgenommen, mit dem neuen Jahr ein Tagebuch zu führen, habe aber immer vor Ende Januar das Interesse daran verloren. Doch ich mache mir so große Sorgen, daß ich hier alles aufschreiben werde, was ich gesehen habe und in den nächsten Tagen vielleicht noch sehen werde, so daß es für den Fall, daß mir etwas zustößt, eine Aufzeichnung darüber gibt. 
    Er bemühte sich, seine Geschichte mit einfachen Worten zu erzählen, mit einem Minimum an Adjektiven und ohne Übertreibungen. Er vermied es sogar, Spekulationen über die Natur des Phänomens oder die Macht hinter der Erschaffung der Schwelle anzustellen. Er zögerte sogar, es eine Schwelle zu nennen, benutzte diesen Begriff schließlich aber doch, da er auf einer Ebene, die tief unterhalb von Sprache und Logik lag, genau wußte, daß es sich eben darum handelte. Falls er starb - nein, falls er getötet wurde -, bevor er Beweise für diese bizarren Vorgänge besorgen konnte, sollte derjenige, der seinen Bericht las, von seinem kühlen, ruhigen Stil beeindruckt sein und ihn nicht als das irre Geschwafel eines verrückten alten Mannes abtun. Er vertiefte sich so sehr in seine Arbeit, daß er über die Mittagsstunde und tief bis in den Nachmittag weiterschrieb, bevor er eine Pause einlegte und sich einen Happen zu essen zubereitete. Da er auch das Frühstück ausgelassen hatte, war er ziemlich hungrig. Er schnitt eine kalte Hähnchenbrust in Scheiben, die vom vergangenen Abendessen übrig geblieben war, und machte sich ein paar Sandwiches mit Käse, Tomaten, Salat und Senf. Sandwiches und Bier waren die ideale Mahlzeit, weil er sie essen konnte, während er seinen Bericht fortsetzte. Bei Anbruch der Dämmerung hatte er die Geschichte auf den neuesten Stand gebracht. Er

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