Wintermond
immer in Erwägung zog, sie tätlich anzugreifen.
»So wahr mir Gott helfe«, sagte sie, wobei sie noch immer nicht lauter als bei einem ganz gewöhnlichen Gespräch redete, »ich puste dir das Gehirn aus dem Kopf.« Der kalte Haß in ihrer Stimme überraschte sie. Sie hätte nicht auf ihn geschossen. Dessen war sie sicher. Doch der Klang ihrer Stimme erschreckte sie...und machte sie nachdenklich. Er ließ die Schultern hängen. Seine gesamte Körperhaltung veränderte sich. Er nahm ihre Drohung ernst. Ein dunkler Triumph erfüllte sie. Fast drei Monate des intensiven Unterrichts in Taekwondo und Selbstverteidigung für Frauen - dreimal wöchentlich in der Turnhalle der Abteilung, kostenlos für Angehörige von Polizisten - hatten sich ausgezahlt. Ihr rechter Fuß tat fürchterlich weh, wahrscheinlich fast so schlimm wie die Hoden des zweiten Jungen. Vielleicht hatte sie sich einen Knochen gebrochen; auf jeden Fall würde sie eine Woche lang humpeln, selbst wenn nichts gebrochen war, doch sie freute sich so sehr, die drei Vandalen festgenagelt zu haben, daß sie den Schmerz dafür gern in Kauf nahm.
»Komm her«, sagte sie. »Mach schon, komm her, sofort.« Der dritte Junge hob beide Hände. In jeder hielt er eine Spraydose. »Setz dich zu deinen Kumpeln auf den Boden«, verlangte sie, und er tat wie geheißen. Der Mond segelte hinter den Wolken hervor, was den Eindruck hervorrief, als würde man auf einer Bühne die Beleuchtung langsam zu einem Viertel ihrer vollen Stärke hochfahren. Sie konnte nun deutlich drei ältere Teenager zwischen sechzehn und achtzehn Jahren ausmachen. Außerdem sah sie, daß sie keineswegs den üblichen Stereotypen von Graffiti-Schmierern entsprachen. Es waren keine Schwarze oder Latinos. Es waren Weiße. Und sie schienen auch nicht arm zu sein. Einer von ihnen trug eine gut geschnittene Lederjacke, ein anderer einen Designer-Pulli aus Baumwolle mit einem komplizierten und wunderschönen Strickmuster. Die nächtliche Stille wurde nur von dem elenden Stöhnen und Würgen der beiden Jungen gestört, die Heather kampfunfähig gemacht hatte. Der Kampf hatte sich so schnell und leise auf der zwei Meter breiten Fläche zwischen dem Haus und der Begrenzungsmauer abgespielt, daß noch nicht einmal die Nachbarn aufgeweckt worden waren.
Heather richtete die Waffe auf die Eindringlinge. »Wart ihr schon mal hier?« fragte sie.
Zwei von ihnen hätten nicht antworten können, selbst wenn sie es gewollt hätten, und der dritte war auch nicht besonders redselig.
»Ich habe euch gefragt, ob ihr schon mal hier wart«, sagte sie scharf, »und schon mal so einen Scheiß gemacht habt.«
»Miststück«, sagte der dritte Junge. Ihr wurde klar, daß sie trotz Waffe schon bald die Kontrolle über die Situation verlieren konnte, vor allem, wenn die beiden, denen sie zwischen die Beine getreten hatte, sich schneller erholten als erwartet. Sie nahm Zuflucht bei einer Lüge, die die Jungs davon überzeugen sollte, daß sie mehr als nur eine einigermaßen durchtrainierte Polizistenehefrau war. »Hört mal zu, ihr kleinen Rotzlöffel - ich kann euch alle töten, ins Haus gehen, ein paar Messer holen und sie euch in die Hände drücken, bevor der erste Streifenwagen hier ist. Vielleicht schleppen sie mich vor Gericht, vielleicht aber auch nicht. Aber welche Geschworenen werden schon die Frau eines heldenhaften Polizisten und die Mutter eines -achtjährigen Jungen ins Gefängnis stecken?«
»Das würden Sie nicht tun«, sagte der dritte Junge, wenn auch erst nach beträchtlichem Zögern. In seiner Stimme schwang eine Spur von Unsicherheit mit. Es überraschte sie, daß sie mit einer Eindringlichkeit und Verbitterung fortfuhr, die sie nicht vortäuschen mußte. »Ach nein? Das würde ich nicht tun? Jacks Partner wurden innerhalb von knapp einem Jahr erschossen, und er selbst liegt seit dem ersten März im Krankenhaus, wird noch Wochen , vielleicht monatelang drinbleiben müssen, und Gott allein weiß, welche Schmerzen er vielleicht den Rest seines Lebens ertragen muß, ob er je wieder gehen kann, und ich bin seit Oktober arbeitslos, unsere Ersparnisse sind fast aufgebraucht, ich kann vor Sorgen nicht schlafen und werde von Abschaum wie euch belästigt. Glaubt ihr nicht, mir würde es gefallen, zur Abwechslung mal andere leiden zu sehen, glaubt ihr nicht, es würde mir Spaß machen, euch was zu tun, und das nicht zu knapp? Meint ihr nicht? Was? Na los, antwortet, ihr kleinen Rotznasen!«
Großer Gott. Sie
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