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Wintermond

Wintermond

Titel: Wintermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Zusammenhang. Da sie Anwälten eine grundlegende Abneigung entgegenbrachte und sämtliche Schreiben von Anwaltskanzleien als potentielle Bedrohungen auffaßte, schob sie den Brief ganz nach unten, um sich zum Schluß mit ihm zu befassen. Nachdem sie die Reklame weggeworfen hatte, stellte sie fest, daß es sich bei den vier restlichen Briefen um Rechnungen handelte. Als sie schließlich den Brief von Paul Youngblood las, war sie so überrascht über seinen Inhalt, daß sie sofort, nachdem sie ihn gelesen hatte, an den Küchentisch setzte und ihn noch einmal von oben bis unten las. Eduardo Fernandez, ein Klient Youngbloods, war am vierten oder fünften Juli gestorben. Er war der Vater des verstorbenen Thomas Fernandez gewesen, jenes Tommy also, der elf Monate vor den Ereignissen auf Hassan Arkadians Tankstelle in Jacks Beisein ermordet worden war. Eduardo Fernandez hatte Jack McGarvey aus Los Angeles, Kalifornien, als seinen Alleinerben eingesetzt. Als Nachlaßverwalter von Mr. Fernandez hatte Youngblood versucht, Jack telefonisch zu benachrichtigen, aber feststellen müssen, daß seine Nummer nicht mehr eingetragen war. Der Nachlaß schloß eine Versicherungspolice ein, die die Erbschaftssteuer von fünfundfünfzig Prozent abdeckte, so daß Jack ohne weitere Belastungen die sechshundert Morgen große Quartermass-Ranch, das Haupthaus mitsamt der Einrichtung, den Hausmeisterbungalow, den Stall, verschiedene Werkzeuge und Geräte sowie >eine beträchtliche Geldsumme< erben würde. Statt des Erbscheins lagen dem einseitigen Brief sechs Fotos bei. Mit zitternden Händen breitete Heather sie auf dem Tisch vor ihr in zwei Reihen aus. Das im viktorianischen Stil gehaltene Haupthaus war bezaubernd und verfügte über gerade so viele Verzierungen, daß es nicht der gotischen Bedrücktheit anheimfiel. Es schien doppelt so groß zu sein wie das Haus, in dem sie zur Zeit wohnten. Die auf allen Seiten ungehinderte Sicht auf die Berge und Täler war atemberaubend. Heather hatte noch nie so gemischte Gefühle empfunden wie in diesem Augenblick. In der Stunde ihrer größten Niedergeschlagenheit waren sie errettet worden, hatte man ihnen einen Weg aus der Dunkelheit, der Verzweiflung gezeigt. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, was ein Anwalt aus Montana als >beträchtliche Geldsumme< bezeichnen würde, doch sie rechnete damit, daß schon allein die Ranch, so man sie verkaufte, einen Ertrag bringen mußte, mit dem sie all ihre Rechnungen bezahlen und die Hypotheken auf das Haus ablösen konnten, und es würde noch eine Menge Geld übrig bleiben, das sie dann anlegen konnten. Ihr war ganz benommen vor einer Überschwenglichkeit der Gefühle, die sie nicht mehr erlebt hatte, seit sie ein kleines Kind gewesen war und noch an Märchen und Wunder geglaubt hatte. Andererseits wäre ihr Glück Tommy Fernandez ' Glück gewesen, wäre er nicht ermordet worden. Diese dunkle und unvermeidliche Tatsache befleckte das Geschenk und trübte ihre Freude daran. Sie brütete eine Zeitlang vor sich hin und schwankte zwischen Freude und Schuld, doch dann gelangte sie zu dem Schluß, daß sie zu sehr wie eine Beckerman und zu wenig wie eine McGarvey dachte. Sie hätte alles getan, um Tommy Fernandez ins Leben zurückzuholen, selbst wenn dies bedeutete, daß sie und Jack diese Erbschaft dann niemals bekommen würden; aber die kalte Wahrheit war nun einmal, daß Tommy tot und schon seit über sechzehn Monaten beerdigt war und niemand ihm mehr helfen konnte. Das Schicksal war oft boshaft und viel zu selten großzügig. Es wäre töricht, diese überwältigende Gabe mit einem Stirnrunzeln zu betrachten.
    Ihr erster Gedanke war, Jack auf der Arbeit anzurufen. Sie ging zum Telefon und wählte die Nummer, legte dann jedoch wieder auf. So eine Nachricht überbrachte man nur einmal im Leben. Sie würde nie wieder die Gelegenheit erhalten, ihm so etwas unglaublich Wunderbares zu sagen, und sie durfte es nicht verderben. Sie wollte unbedingt sein Gesicht sehen, wenn er von der Erbschaft hörte. Sie nahm den Notizblock und Kugelschreiber vom Halter unter dem Wandtelefon und kehrte zum Tisch zurück, wo sie den Brief noch einmal las. Sie schrieb sich eine Reihe von Fragen auf, die sie Paul Youngblood stellen wollte, kehrte dann zum Telefon zurück und rief in Eagle's Roost in Montana an. Als Heather zuerst der Sekretärin und dann dem Anwalt selbst ihren Namen nannte, zitterte ihre Stimme, weil sie befürchtete, er würde ihr sagen, es läge ein Irrtum vor.

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