Wintermond (German Edition)
andere.
Spätestens jetzt hatte sich Alex’ Bild der beiden Komplizen zweifellos bestätigt.
„Und was, wenn ich’s nicht schaffe?“ Alex hatte die Frage gestellt, bevor er überhaupt darüber nachgedacht hatte. Erst nachdem die Worte aus ihm herausgesprudelt waren, wurde ihm klar, dass er die Antwort darauf gar nicht hören wollte. Er gab noch mehr Gas, fuhr bei rot über eine Ampel und presste das Handy dabei fest gegen sein Ohr.
„Dann machen wir dir das Leben zur Hölle“, war schließlich die Antwort, auf die Alex auch selbst hätte kommen können. Er wollte noch etwas erwidern, doch vernahm er bereits ein leises Klacken, das ihm verdeutlichte, dass der andere aufgelegt hatte.
Verzweifelt schmiss er das Handy auf den Beifahrersitz. Ange-strengt versuchte er sich wieder auf das Fahren zu konzentrieren. Dabei sah er plötzlich im Augenwinkel, wie sein Handy beinahe in den Fußraum rutschte. Er wollte es abfangen, streckte seinen Arm aus und beugte sich leicht in diese Richtung. Noch gerade eben konnte er es dadurch vor dem Fall bewahren. Doch als er sich wieder aufrichtete, durchfuhr ihn ein heißer Adrenalinstoß. Reflexartig nahm er den rechten Fuß vom Gas und drückte so fest auf die Bremse, dass das Pedal zu ruckeln begannen. Alex konnte kaum hinsehen, kniff die Augen zusammen und wartete nur noch auf den harten Aufprall, der ihm bevorstehen würde.
Doch so weit kam es glücklicherweise nicht. Das Heck seines Autos schlitterte so stark nach rechts, dass der Wagen sich um fast 360 Grad drehte und schließlich zum Halt kam.
Alex öffnete vorsichtig seine Augen und versuchte seine kalten Hände, die sich noch bis eben panisch in das Lenkrad gekrallt hatten, zu entspannen. Er blickte von links nach rechts und atmete schließlich erleichtert auf. Die ganze Szene glich einem Wunder, denn es war absolut nichts passiert. Alex war mit nichts und niemandem kollidiert, stand lediglich etwas schief auf dem Bürgersteig, der durch den Schnee mit der Straße eins geworden war.
„Puh ...“, machte er und wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn.
In den Seitenspiegel sah er Leute auf ihn zustürmen, die ihm vermutlich helfen wollten. Alex hatte allerdings keine Lust auf sinnlose Konversationen. Er ließ sein Seitenfenster herunter, beugte sich raus und rief laut: „Der verdammte Schnee! Aber es ist alles okay! Keine Sorge, ist nichts passiert! “
Er atmete noch einmal tief durch, bevor er den Rückwärtsgang einlegte und mühselig auf dem angehäuften Schnee zu wenden versuchte. Als es ihm endlich gelang und er sich somit wieder auf der Straße befand, fühlte er sich schon etwas besser, auch wenn der Schreck noch tief in seinen Gliedern saß.
Jetzt war es also schon so weit, dass ein Telefonat genügte, um ihn nervös zu machen und dermaßen aus dem Tagesgeschehen zu reißen, dass er soeben beinahe in eine Hauswand gerast wäre.
Alex schluckte.
Er folgte der Hauptstraße noch eine Weile, bog dann links ab und ein kurzes Stück weiter wieder rechts, so dass er sich am Pinnasberg befand. Hier wohnte Diego in einer kleinen, dreckigen Dachgeschosswohnung, die Alex bislang weitgehend gemieden hatte.
Er suchte sich eine freie Parklücke, schaltete den Motor ab und nahm alle Wertsachen an sich. In dieser Gegend konnte man nämlich nicht vorsichtig genug sein.
Bevor er ausstieg, lehnte er sich noch einmal in seinem Sitz zurück und atmete tief durch. Der fast geschehene Unfall kam Alex unrealistisch vor. Er versuchte sich genauer an die Situation zurück zu erinnern und daran, wie es überhaupt dazu hatte kommen können. Doch sein Gehirn schien eine Schutzfunktion einzuschalten und ließ so lediglich verschleierte Bilder zu, die mehr und mehr in einem blassen Nebel verschwanden - wie ein Albtraum, an den man sich unmittelbar nach dem Aufwachen noch gut erinnern konnte, aber kurze Zeit später nicht einmal mehr genau sagen konnte, um was es in diesem Traum überhaupt gegangen war.
Alex massierte sich den Nacken, bevor er sich schließlich aufrichtete und aus dem Wagen ausstieg. Er schmiss die Fahrertür hinter sich zu und stapfte durch den Schnee zum Bürgersteig, um nach der richtigen Hausnummer zu suchen. Er war erst zweimal an diesem Ort gewesen. Einmal hatte er vor der Tür, einmal im Treppenhaus gewartet und beide Male war es mitten in der Nacht gewesen. Konzentriert kratzte er sich am Hinterkopf und blieb schließlich vor einer maroden Haustür stehen. Er verglich kurz die Bilder seiner
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