Wintermond (German Edition)
durch den hohen Alkoholkonsum auch gar nicht mehr dazu in der Lage zu sein.
„Entschuldige“, begann er schließlich, „du bist wirklich toll ... und sympathisch ... aber ich bin völlig fertig und will nur noch nach Hause.“
Laura schien nicht sonderlich überrascht zu sein. Sie fuhr sich mit der linken Hand durch ihr kurzes, schwarzes Haar und verweilte einen Moment lang in dieser Position. Sie sah dabei schon fast wie ein in Pose gesetztes Model aus.
„Du bist wohl doch schwul, was?“, fragte sie, begann aber gleich daraufhin wieder zu lachen, so dass Alex wusste, dass sie ihn bloß scherzhaft zu provozieren versuchte.
Er beobachtete sie, wie sie ihre Hand wieder aus dem Haar nahm und stattdessen damit begann, das Tattoo an ihrem Hals mit ihren schmalen Fingern nachzuziehen. In dem gelblichen Licht der Straßenlaternen wirkte sie gar nicht mehr so blass. Stattdessen hatte sie plötzlich einen gesunden Teint, der sie in jenem Augenblick außergewöhnlich hübsch aussehen ließ.
„Was bedeutet das?“, fragte Alex neugierig und deutete mit einem Kopfnicken auf die schwarze Schrift an Lauras Hals.
„Das sind Runen, Kleiner“, antwortete Laura. „Da steht der Name meiner Mum. Sie ist gestorben, als ich noch ein Kind war.“
Alex traute seinen Ohren nicht. Er fragte sich, ob die Begegnung mit Laura purer Zufall gewesen war oder ein vorher bestimmtes Schicksal. Die vielen Gemeinsamkeiten brachten ihn völlig aus dem Konzept. Allerdings wollte er sich das nicht anmerken lassen, da er keine Lust hatte, Laura von seiner Vergangenheit zu erzählen.
„Das tut mir leid“, erwiderte er knapp, aber mitfühlend.
Laura lächelte verlegen. So verlegen, dass sie mit einem Mal wesentlich jünger aussah und vollkommen unschuldig wirkte. Plötzlich übersah Alex ihren Kleidungsstil, ihre kurzen Haare und das gewaltige Tattoo. Mit einem Mal stand nur noch dieses unscheinbare Mädchen vor ihm, das ihm in jenem Moment einen Blick hinter ihre Fassade gewährte. Alex war fasziniert. Trotz des Alkohols war er für den Bruchteil einer Sekunde völlig klar im Kopf.
„Du bist unglaublich“ rutschte es dann ungewollt aus ihm heraus.
Laura sah auf. Sie schien verwirrt zu sein, doch hielt dieser Zustand nicht lange an, denn schon bald darauf begann sie wieder zu lachen.
„Und du hast sie nicht mehr alle, Kleiner“, erwiderte sie in ihrer rauen Stimme, die sie augenblicklich wieder altern ließ.
„Ich bin nur etwas betrunken“, korrigierte Alex und grinste überlegen, „und muss jetzt wirklich los.“
Er wusste nicht einmal, wohin er sollte, doch ignorierte er diese Tatsache und tat so, als wäre er sich seinem Ziel ziemlich sicher.
„Wo wohnst du denn?“, fragte Laura interessiert.
„Nienstedten“, erwiderte Alex, wandte sich ab und machte sich auf den Weg zu seinem Auto. Laura folgte ihm und benahm sich dabei wie ein Hund im Tierheim, der sich mit allen Mitteln an ein neues Herrchen zu heften versuchte.
Alex seufzte, während er einen Fuß vor den anderen setzte. Sein Kopf schmerzte und seine rechte Hand fühlte sich an, als ob sie unter dem Verband taub geworden war. Er hatte große Mühe, sein Gleichgewicht zu halten und einigermaßen geradeaus zu gehen. Ihm war so übel, dass er sich am liebsten den Finger in den Hals gesteckt hätte, um sich von dem getrunkenen Gift zu befreien. Außer Lauras Schritten vernahm er nichts weiter. Es war ungewöhnlich still und das Wenige, was er hörte, klang leise und gedämpft. Auch sein Blickfeld war recht eingeschränkt. Er konzentrierte sich sehr auf den vor ihm liegenden Fußweg und merkte dabei selbst, wie alles, was er sah, übertrieben greifbar, aber gleichzeitig vollkommen surreal wirkte.
Es dauerte nicht lange, bis sie an seinem schwarzen BMW ankamen. Alex dachte nicht weiter über sein Handeln nach, zog einfach den Autoschlüssel aus seiner Tasche und öffnete den Wagen per Funk. Dann trat er zur Fahrertür und zog sie einen Spalt breit auf. Weiter kam er nicht, da genau diese sofort wieder vor seinen Augen zugeschlagen wurde. Entsetzt drehte Alex sich um und blickte daraufhin verärgert in die streng verzogene Miene Lauras.
„Was willst du eigentlich?“, fragte er genervt.
„Dich vielleicht davon abhalten, in deinem Zustand Auto zu fahren?“, gab die Schwarzhaarige fassungslos zurück.
In jenem Moment nahm das Pochen an seinen Schläfen ein derart abartiges Ausmaß an, dass Alex seine Augen für einen kurzen Moment schließen musste. Er taumelte an
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