Wintermond (German Edition)
sie ebenfalls etwas von ihrem Whiskey trank. Dann sah sie plötzlich ziemlich entschlossen aus und antwortete sicher: „Der Alltag. Ganz eindeutig.“
Alex betrachtete sie skeptisch und war recht amüsiert über ihre klug ausgewählte Antwort. Dieses Mal war er es, der deshalb leise auflachen musste. Die Frau gefiel ihm. Sie hatte etwas Undefinierbares und war so sonderbar, dass es schon seinen Reiz hatte. Sie schien Alex charakterlich recht ähnlich zu sein, was vermutlich der Grund dafür war, dass die beiden sich auf der gleichen Wellenlänge getroffen hatten.
„Danke für den Whiskey“, versuchte Alex das Gespräch schließlich in eine andere Richtung zu lenken.
Sie lächelte bloß und streckte ihre zierliche Hand nach der von Alex aus.
„Ich bin übrigens Laura“, fügte sie hinzu.
Alex erwiderte das Lächeln, nahm ihre kalte Hand und erwiderte knapp: „Alex.“
Während ihre Hände sich berührten, blickten sie sich gegenseitig an und mit einem Mal begann Alex die Frau als recht hübsch zu empfinden. Sie war kein Topmodel und auch nicht eine von den Frauen, auf die er sich normalerweise einließ, aber sie hatte etwas. Eigentlich war sie sogar sehr hübsch. Ihr Gesicht war nahezu perfekt. Die makellose Haut, die großen, aussagekräftigen Augen, die kleine Nase und nicht zuletzt die vollen Lippen trugen zu diesem zweiten Eindruck bei. Lediglich ihre Blässe, das auffällige Tattoo an ihrer Halsbeuge und ihre schwarze Kleidung vermittelten ein ganz anderes Bild. Alex dachte einen Augenblick lang nach und kam schließlich zu einem Ergebnis, mit dem er sich Laura plötzlich sehr verbunden fühlte. Sie hatte einen ähnlichen Charakter wie er und sah eigentlich ganz gut aus, versteckte all das allerdings hinter ausdrucksloser Kleidung und einem schäbigen Tattoo. Offenbar hatte auch sie eine Fassade, hinter die sie nur wenige Menschen blicken ließ. Das, was Alex hinter seiner psychischen Mauer versteckte und mit Sarkasmus und Hass zu überspielen versuchte, verbarg sie hinter ihrem Aussehen. Genau das machte sie sympathisch und erklärte, weshalb sie zu Beginn so unnachgiebig gewesen war.
Ihre Hände ließen wieder voneinander ab, doch ihre Blicke klebten noch immer aneinander. In jenem Moment schien es eine gegenseitige Bewunderung zwischen den beiden zu geben. Alex fühlte sich, als ob sie sich schon viel länger kannten. Die Schwarzhaarige schien in jenem Augenblick so tief in sein Inneres zu blicken, dass es sich für ihn anfühlte, als ob sie einen Teil seines gesamten Gedankenguts zu lesen begann.
„Hi, Laura!“, sagte er dann und wusste, dass es dämlich klang, brachte allerdings keine anderen Worte hervor.
„Hi, Alex!“, erwiderte sie und grinste keck.
Alex betrachtete sie und mit einem Mal begann sich ein positives Gefühl durch sein Inneres zu ziehen, das ihn zu einem sanften Lächeln zwang. Er war unter dem Vorwand ausgegangen, sich zu betrinken und irgendeine Frau aufzureißen, mit der er sich beweisen wollte, dass er hetero war. Genau die hatte er nun gefunden. Sie war hübsch, intelligent und schien auf ihn zu stehen. Laura ähnelte ihm so sehr, dass sie die Auserwählte sein musste. Mit ihr musste es funktionieren, da war er sich sicher.
„Willst du darüber reden, Kleiner?“, fragte sie plötzlich und wiederholte damit ihre zu Beginn gestellte Frage. Sie legte ihren Kopf etwas schief und wirkte einen Moment lang wie eine große Schwester auf ihn.
„Worüber?“, fragte Alex irritiert zurück.
Er trank noch etwas Whiskey und begann zu spüren, wie seine motorischen Funktionen sich allmählich einschränkten und sein Denken sich verzögerte.
„Über deine Probleme“, erwiderte Laura selbstbewusst.
„Das willst du nicht wissen ...“, tat Alex ab und musste vor lauter Selbstironie auflachen.
„Würde ich dann fragen?“, gab sie genervt zurück.
„Okay ...“, sagte Alex daraufhin und betonte das Wort derart überzogen, dass er dabei schon fast angewidert klang. Er befeuchtete seine Lippen mit seiner Zunge und fragte sich, ob er es wirklich wagen sollte, nickte dann als eine Art Selbstantwort und wandte sich wieder zu Laura.
„Hast du schon mal ’nen Kerl geküsst?“, fragte er und spürte dabei, wie sein Inneres sich zusammenzog. Schon im nächsten Moment konnte er kaum glauben, diese Frage tatsächlich geäußert zu haben und damit kurz davor war, seinem geplanten One-Night-Stand von ausgerechnet diesem Problem zu berichten.
„Ähm ...“, machte sie daraufhin
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