Wintermond (German Edition)
Wagen entlang zu Boden. Den kalten Schnee unter sich nahm er kaum wahr.
Dann begann er zu heulen. Es waren Tränen der Verzweiflung, der Wut und des Selbstmitleids. In jenem Moment wurde ihm wieder einmal bewusst, wie negativ sich sein Leben entwickelt hatte. Doch dieses Mal erkannte er dies nicht nur, sondern ließ die dazugehörigen Gefühle zu. Etliche warme Tränen rannen über seine kalten Wangen bis zu seinem Kinn und sammelten sich dort.
Alex weinte bitterlich.
Er bekam kaum Luft, musste immer wieder laut schluchzen und wischte sich zwischendurch etwas der körpereigenen Nässe aus dem Gesicht.
Ihm war alles egal. Ihm war egal, wie er neben seinem Wagen hockte und weinte. Ihm war sogar egal, dass sein Vater ihn möglicherweise in diesem Zustand vorfinden könnte, denn in diesem Augenblick empfand er seinen Vater als noch größeres Arschloch als je zuvor. Im Zuge der Verzweiflung wollte er ihn sogar am liebsten aufsuchen, ihm das Foto unter die Nase halten und ihm damit verdeutlichen, dass er überhaupt keine Ahnung von seinem Sohn hatte - weder von dessen Beziehung zu Ben, noch von seinen Schulden oder Ängsten.
Er weinte weiter, konnte einfach nicht mehr aufhören. Es war, als ob sich die Tränen zu lange aufgestaut hätten und in jenem Moment aus ihm heraussprudelten wie kohlensäurehaltiges Wasser aus einer zuvor geschüttelten Flasche.
Er hasste sein Leben und er hasste sich.
Er wollte seine Spielschulden endlich begleichen, um die ganze Scheiße hinter sich zu lassen. Außerdem wollte er endlich Gewissheit über das, was in ihm vorging, denn er wusste es längst selbst nicht mehr. Manchmal kam es ihm vor, als ob er nicht mehr zwischen Lüge und Wahrheit unterscheiden konnte. Am Schlimmsten war dies in Bezug auf Ben. Er wusste wirklich nicht, was mit ihm los war. Einerseits mochte er den Dunkelhaarigen für seine Fürsorge und sein Verständnis, andererseits verabscheute er ihn für das Leben, was er selbst führte. Genauso verhielt es sich mit Bens Rausschmiss aus der Villa. Eigentlich hatte er genau das provoziert und war erleichtert, dass Ben endlich aus seinem Leben verschwinden würde, doch andererseits wusste er, dass er Ben brauchte und sich mittlerweile gar nicht mehr vorstellen konnte, einen ganzen Tag zu verbringen, ohne dem Dunkelhaarigen mindestens einmal zu begegnen.
Wenn er ehrlich zu sich war, überwog allerdings nur ein einziges Gefühl. So sehr er dieses auch in seinem tiefsten Inneren zu verstecken versuchte, war es dennoch fortwährend präsent. Es war ein Gefühl von Geborgenheit, Sympathie, Zuneigung und Wohlfühlen, wenn er an Ben dachte. Nur eine winzige Berührung mit dem Dunkelhaarigen genügte, um ein so enormes Glücksgefühl in ihm auszulösen, das sämtliche Sorgen in ihm ausgeblendet wurden. Dieses Gefühl fühlte sich gut an und Alex wusste, dass es das Gefühl von Liebe war.
Er liebte Ben.
Das anfängliche Spiel, das er mit dem Dunkelhaarigen getrieben hatte, hatte sich in einem schleichenden Prozess in eine vollkommen unerwartete Richtung bewegt.
Weitere Tränen quollen aus seinen Augen und machten ihm das Atmen schwer.
Was war nur aus ihm geworden? Er fühlte sich armselig und beschämend. In seinem Körper herrschte ein wahrer Kampf zwischen seinen Emotionen und seinem Verstand. Es war fast wie eine undurchdringbare Mauer. Er wusste von seinen Gefühlen, erkannte sie, wollte sie sich aber dennoch ausreden und nicht eingestehen. In seinem Herzen fühlte es sich richtig an, in seinem Kopf allerdings falsch. Es war, als ob nicht er, sondern wer anders Herr über seinen Verstand war, der ihm einfach nicht erlaubte, sich in einen Mann zu verlieben. Mit seinen Gefühlen war das ähnlich, denn selbst wenn er sie zulassen würde, könnte er ihnen nicht folgen - aus Angst und aus Scham.
Deshalb musste die Ursache für dieses emotionale Chaos verschwinden. Genau diese Erkenntnis hatte letztendlich dafür gesorgt, Ben aus der Villa verbannen zu wollen. Das hatte er jetzt geschafft. Doch ob er sich wirklich darüber freuen konnte, wusste er nicht. Ihm war klar, dass seine Gefühle nicht einfach abschaltbar waren, aber er hoffte, dass sie mit Bens Auszug verblassen und irgendwann ganz verschwinden würden. Sie mussten verschwinden, denn wenn er eines nicht wollte, dann war es, schwul zu sein.
Alex wischte sich den salzigen Rotz von den Lippen und zog die Nase hoch. Dann trocknete er seine Wangen von den Tränen. Aus einem unerfindlichen Grund fühlte er sich nun etwas
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