Wintermond (German Edition)
als in einem Altkleidercontainer. Gleich darauf befreite er sich aus der karierten Boxershorts, die er zum Schlafen trug, und schlüpfte in ein sportliches Outfit, das aus einer schwarzen Jogginghose, einem weißen T-Shirt und darüber einem grauen Cardigan bestand. Nur wenige Sekunden später verließ er sein Zimmer. Leise schloss er die Tür hinter sich, da er nicht wusste, ob außer ihm schon jemand wach war. Immerhin war Jo gestern Nacht nicht vor zehn nach Hause gekommen, denn bis zu diesem Zeitpunkt hätte Ben dessen Rückkehr noch mitbekommen.
Dann drehte er sich um und wollte gerade über den Flur schleichen, als er gleich darauf beinahe in Alex hineinlief. Erschrocken zuckte er zusammen und blieb verstört stehen.
„Du bist schon wach?“, fragte er und schlug sich dabei gedanklich fast zeitgleich mit der flachen Hand gegen die Stirn, denn eigentlich hatte er sich vorgenommen, Alex vorerst zu ignorieren und ihm auf diese Weise zu verdeutlichen, dass er nicht alles mit sich machen ließ.
„Was geht’s dich an?“, gab der Blonde schroff zurück.
Er war bereits vollständig angezogen und schien davor frisch geduscht zu haben. Seine Haare waren noch nass und der intensive Geruch von herbem Parfüm ließ daraus schließen, dass der Duft recht frisch aufgetragen worden war.
Ben starrte Alex entsetzt an. Es kam ihm vor, als ob niemals etwas zwischen ihm und dem Blonden vorgefallen wäre. Stattdessen glich dieser in jenem Moment genau der undefinierbaren Person, der er zu Beginn seines Praktikums mitten in der Nacht vor Jos Garage begegnet war.
„Du bist doch sonst nicht so früh hoch“, dachte Ben laut weiter.
„Halt dich einfach aus meinen Angelegenheiten raus!“, entgegnete Alex bissig.
Mit diesen letzten Worten drängelte er sich an Ben vorbei und verschwand anschließend in seinem Zimmer, dessen Tür er laut hinter sich zuschlug.
Ben blickte ihm irritiert hinterher, schüttelte nur fassungslos seinen Kopf und führte seinen Weg daraufhin fort. Noch nie zuvor war er einem derart seltsamen Charakter wie Alex begegnet. Der Blonde änderte sein Verhalten und seine Meinungen nahezu täglich. So sehr Ben sich bislang auch bemüht hatte, hatte er es noch immer nicht geschafft, vollständig hinter dessen Fassade zu blicken. Der Blonde ließ es einfach nicht zu. Immer, wenn Ben sich kurz davor befand, kam wieder irgendetwas dazwischen, das alles aus dem Konzept warf und den Dunkelhaarigen daraufhin wieder von vorn beginnen ließ.
Ben seufzte kaum hörbar auf und führte seinen Weg in die untere Etage fort. Im Wohn- und Esszimmer brannte bereits Licht, weshalb Ben vermutete, dass auch Jo bereits aufgestanden war. Eigentlich hatte er auch nichts anderes erwartet, denn der Stararchitekt war ein wahrer Workaholic, der seinen Tagesrhythmus nicht durch Kleinigkeiten, wie spätes Zubettgehen, durcheinandergeraten ließ.
Ben begann darüber nachzudenken, ob er Jo begrüßen sollte oder nicht. Er war sich nicht ganz sicher, entschied sich letzten Endes aber dafür, da er es für albern hielt, Alex’ Vater fortan bis zu seinem endgültigen Auszug aus dem Weg zu gehen. Also zögerte er nicht mehr länger und setzte tapfer einen Fuß vor den nächsten. Dennoch hoffte er inständig, nicht wieder auf das Thema vom Vortag angesprochen zu werden. Glücklicherweise war Jo grundsätzlich jemand, der gewisse Begebenheiten recht diskret behandelte.
Ben atmete noch einmal tief durch, bevor er die angelehnte Wohnzimmertür schließlich aufschob und daraufhin etwas zögerlich eintrat. Jo saß wie üblich an der hinteren Stirnseite des Tisches und war in die Tageszeitung vertieft. Allerdings stimmte irgendetwas nicht an dem morgendlichen Bild. Irgendetwas war anders als sonst. Ben brauchte einen ganzen Moment, bis er herausfand, was es war: Jos Kaffeetasse fehlte und auch sein Teller schien bislang nicht benutzt worden zu sein. Dennoch war der Tisch reichhaltig gedeckt, was diese Szene recht widersprüchlich aussehen ließ. Jo deckte nämlich in erster Linie für sich selbst und schien mit dieser alltäglichen Prozedur eine Art künstliches Familienritual herstellen zu wollen. Normalerweise trank Jo jeden Morgen seinen Kaffee und aß zunächst die erste Hälfte seines Brötchens, bevor er sich letztendlich den neusten Schlagzeilen widmete. An diesem Morgen war das nicht der Fall und auch, wenn dies nur ein kleines, eigentlich kaum auffallendes Detail war, hatte Ben es bemerkt.
„Morgen ...“, begrüßte er Jo und klang
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