Wintermond (German Edition)
üblich.
„Ich kann gar nicht genau sagen, ob ich dich lieber hilflos unter mir oder dominant über mir hab’“, fuhr Alex nachdenklich fort. „Hat beides was.“
„Ja, hat beides was ...“, wiederholte Ben ihn. „Jedenfalls lässt sich spätestens jetzt nicht mehr abstreiten, dass du ’ne beschissene Schwuchtel bist.“
Vermutlich drückte er sich bewusst in den Worten aus, die Alex normalerweise immer gewählt hatte. Der Blonde ging allerdings nicht auf diese Aussage ein. Stattdessen beschäftigte ihn eine andere Frage, die er schließlich auch laut aussprach: „Sag mal ... Wie hast du das eigentlich rausgefunden?“
„Was?“, fragte Ben irritiert. „Dass ich schwul bin?“
Alex nickte.
Ben atmete einmal tief durch, zog sich die Bettdecke über den Körper und klemmte eine Hand unter seinen Kopf.
„Weißt du ...“, begann er dann, „ich musste es nicht rausfinden“, er pausierte rhetorisch, „ich wusste es.“
Alex ließ die Antwort erst einmal sacken. Auch er streckte seinen Arm nach einer Decke aus und zog sie über sich. Ben drehte sich in der Zwischenzeit auf die Seite, mit dem Gesicht zu ihm. Er hatte seine Augen geschlossen. Auf seinen Lippen hatte sich ein müdes Lächeln gebildet.
„Ich hab’s auch länger gewusst, als ich’s zugeben wollte“, sagte Alex dann. „Aber irgendwie konnt’ ich mich nicht drauf einlassen. Und jetzt ist plötzlich alles so logisch und einfach“, er stockte. „Verstehst du, wie ich das mein’?“
Eine Antwort erhielt er allerdings nicht. Ben reagierte nicht einmal mehr.
„Ben?“, hakte Alex nach und blickte ihn dabei skeptisch an, „Schläfst du jetzt, oder was?“
Doch auch auf diese Frage bekam er keine Antwort. Er seufzte leise und deckte Ben vorsichtig noch etwas weiter zu. Dann drehte auch er sich auf die Seite - allerdings mit dem Rücken zu Ben.
Er zog die Bettdecke bis zu seinem Kopf und stopfte sich das vordere Ende zusätzlich zum Kissen unter den Kopf. Die übrige Decke ließ er über seinen Beinen und klemmte sie zwischen seine Knie. Dann begann er nachzudenken - über die letzten Wochen und Tage, über den heutigen Tag und alles was damit zusammenhing und über die Zukunft und was diese wohl bringen würde.
Dabei stach sich ein unangenehmes Gefühl in sein Gewissen. Mit einem Mal begann er sich außerordentlich schlecht zu fühlen, was absurd war, weil es ihm eigentlich sehr gut ging. Dennoch machten sich Schuldgefühle in ihm breit, und Zukunftsängste aufgrund der Dinge, die er erlebt und getan hatte. Er erinnerte sich an viele Vorfälle und Details, wie beispielsweise den Studenten, den Diego eines Nachts zusammengeschlagen hatte. All das fühlte sich plötzlich so fremd an, dass er kaum noch glauben konnte, etwas Derartiges getan und miterlebt zu haben. Mit all diesen Dingen wollte er nichts mehr zu tun haben, sie hinter sich lassen. Doch da gab es sein Gewissen, das ihn mit einem Mal radikal daran zu hindern versuchte. Er wollte einen Neuanfang, doch machte sein Verstand ihm deutlich, dass es keinen geben würde, solange er gewisse andere Dinge nicht abgeschlossen hatte. Diese bestimmten Ereignisse würden ihn vermutlich noch eine lange Zeit blockieren und genau diese Art der negativen Einschränkung seines Gefühlslebens konnte und wollte er sich nicht mehr leisten. Er wollte mit Ben zusammen sein, doch die Grundvoraussetzung dafür war Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit. Außerdem sollte keine Form von Angst zwischen ihnen stehen. Doch Alex hatte Angst. Angst, dass das, was er getan hatte, früher oder später auffliegen und schlimme Folgen mit sich bringen würde. Er erinnerte sich nur zu gut an das Gespräch mit der Polizei vor Diegos Wohnung. Er wusste, dass die Beamten weiter forschen und ihn vermutlich weitere Male befragen würden. Doch er wollte nicht mehr lügen, sich nicht mehr verstecken. Deshalb musste er dringend handeln, um etwas daran zu ändern, bevor es Außenstehende tun konnten.
Mit dieser Erkenntnis befreite er sich aus der Decke und richtete sich auf. Nachdenklich starrte er aus dem Fenster und blickte auf den vollen Mond, der so hell leuchtete, dass er schon fast künstlich wirkte. Der Mond war schon etwas recht Sonderbares, ein natürlicher Trabant, der seine Lichtgestalt regelmäßig und zuverlässig veränderte. Gleichzeitig hatte er etwas Mystisches an sich, das einen beim näheren Betrachten wie von selbst nachdenklich und elegisch werden ließ. Man bekam einen freien Kopf, begann sich zu
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