Wintermond (German Edition)
reichlich dämlich vor, sich die ganze Zeit über unnötige Sorgen gemacht zu haben. Alex drückte die Tür hinter sich zu und schritt in seine Richtung. Er sah gut aus.
„Du bist schon wach?“, fragte er Ben.
„ Schon? “, wiederholte Ben ihn ungläubig. „Ich bin gestern Abend ja auch extrem früh eingepennt.“
Alex nickte wortlos. Er wirkte anders als am Vortag, irgendwie betrübter und geistig abwesender.
„Ist alles in Ordnung?“, hakte Ben deshalb nach.
„Ja, ich ...“, begann Alex, bevor er den Blick kurz abwandte und laut seufzte. „Na ja, ich wollte eigentlich weg sein, bevor du aufwachst.“
„Und wozu dann das da?“, fragte Ben und deutete auf die mitgebrachten Sachen vom Bäcker.
„Das sollte ’ne kleine Aufmerksamkeit sein. Hab’ ja keinen Plan, was es hier zum Frühstück gibt. Und weil du bei uns grundsätzlich Croissants bevorzugt hast, hab’ ich dir einfach mal zwei besorgt“, erklärte Alex.
Ben traute seinen Ohren nicht. Solch eine Geste passte überhaupt nicht zu dem Blonden, auch wenn sie absolut süß war. Doch in jenem Moment und im Zusammenhang mit der Aussage, eigentlich längst weg sein zu wollen, kam ihm das Frühstück mehr wie eine vorweg genommene Entschuldigung vor.
„Sag mal...Warst du an meinem Collegeblock?“, fragte Ben und wusste selbst nicht, warum ihm genau diese Frage in den Sinn kam.
„Ja, ich hab’ dir ’nen Brief geschrieben“, erwiderte Alex und zog dabei ein zusammengefaltetes Stück Papier aus seiner Hosentasche, das er dem Dunkelhaarigen dann entgegenstreckte. „Aber den sollst du erst lesen, wenn ich weg bin.“
Skeptisch nahm Ben den Brief an und blickte gleich darauf irritiert zu dem Blonden auf. Dabei begann erneut ein Gefühl von Angst und Unwohlsein durch sein Inneres zu ziehen. Er konnte Alex’ Verhalten nicht einschätzen, war verunsichert und durcheinander.
„Alex, was soll das?“, fragte er, nachdem er eine kurze Gedenkpause eingelegt hatte.
„Ich muss ein paar Dinge erledigen“, erklärte Alex. „Das steht alles da drin.“
Er deutete auf den zusammengefalteten Zettel.
Daraufhin wurde der Dunkelhaarige erneut wütend, da er nicht besonders viel mit den inhaltlosen Aussagen des Blonden anfangen konnte. Deshalb packte ihn mit einem Mal sein ungezügeltes Temperament. Er zögerte nicht mehr länger und begann den Brief wortlos aufzufalten. Doch das führte nur dazu, dass Alex sich hektisch auf ihn stürzte und ihm den Zettel wieder aus den Händen riss.
„Mann!“, fluchte der Blonde aufgebracht. „Hörst du mir überhaupt zu?“
Alex schnaubte cholerisch. Doch Ben funkelte ihn dadurch nur umso zorniger an.
„Was denn?“, fragte er wütend und stand vom Bett auf. „Erst wach’ ich auf und schieb’ totale Panik, weil du nicht da bist und ich natürlich sofort denke, dass du dich wieder mal wortlos verpisst hast und jetzt kommst du hier an, drückst mir irgendeinen Scheißbrief in die Hand, faselst davon, eigentlich längst weg sein zu wollen und erwartest dann von mir, dass ich ruhig bleibe?“
Es war mehr eine Aussage als eine Frage. Wieder hatte Ben seine Hände zu Fäusten geballt und baute sich finster dreinblickend vor dem Blonden auf.
„Komm mal wieder runter!“, entgegnete Alex und klang dabei genau so abfällig, wie er es noch vor wenigen Tagen stets in Bens Gegenwart getan hatte.
Ben schaute ihn verbittert an. Er atmete schwer und versuchte mit aller Mühe den Ansatz einer Erklärung in Alex’ blauen Augen zu finden. Doch diese Augen gaben keinen Hinweis auf Alex’ sonderbares Verhalten preis, sondern sorgten stattdessen nahezu hypnotisch dafür, dass Ben sich tatsächlich etwas beruhigte. Sein Puls verlangsamte sich allmählich wieder und seine angespannten Muskeln entkrampften sich. Erst in diesem Moment wurde ihm bewusst, dass er sich selbst kaum wiedererkannte. Er war übertrieben wütend geworden und das aus einem vollkommen unerfindlichen Grund. Alex hatte Frühstück besorgt und dabei sogar bedacht, wie gern Ben Croissants aß. Das war nicht nur aufmerksam, sondern eigentlich schon eine deutliche Geste dafür, dass es ihm ernst zu sein schien. Außerdem hatte er Ben einen Brief geschrieben, was nicht unbedingt etwas Negatives bedeuten musste. Ben kannte den Inhalt nicht, weshalb es absolut unfair war, schon vorab völlig aufgebracht zu reagieren. Noch nie zuvor war er derart überempfindlich gewesen. Eigentlich war das auch nicht seine Art, doch existierte in ihm einfach die zu große
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