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Wintermond

Wintermond

Titel: Wintermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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im Rausch diesen roten Leuchter aus Glas von der Decke geholt hatte, ungeachtet der Tatsache, dass er in tausend Teile zersprang, als er auf dem Boden landete. Ähnlich war es auch vielen anderen Möbelstücken ergangen, und David hatte ordentlich damit zu tun gehabt, dem Tempo zu folgen, mit dem seine Liebste ihrer Ausräumwut nachkam. Im riesigen Wohnzimmer standen mittlerweile nur noch das Sofa, ein fast leeres Bücherregal, die Stereoanlage und eine Staffelei, auf der eine weiße Leinwand stand. Ein Geschenk von Meta.
    Überall an den Wänden klebten Papierschnipsel, die mit unterschiedlichen Farben angemalt waren: Blassviolett, Lindgrün, sogar Kirschrot. Doch bislang hatte Meta sich nicht entscheiden können, welche Farbe sie für die gemütlichste hielt. David hatte sich aus dieser Diskussion bislang tunlichst herausgehalten, obwohl sie ihn immer wieder um seine Meinung bat. Aber sein Instinkt verriet ihm, dass es hierbei nur vordergründig um Demokratie ging und ihm ein falscher Kommentar das Genick brechen konnte.
    »Ich weiß doch noch nicht einmal, welche Farbe ich auf meine Leinwand auftragen soll«, hatte er sich jedes Mal erfolgreich herausgeredet.
    Im Badezimmer stieg David aus der verdreckten Arbeitskluft, die ihm die Zeitarbeitsfirma gestellt hatte. Nachdem er geduscht hatte, zog es ihn zu ebendieser Leinwand hin. Ein Form gewordenes schlechtes Gewissen, das er am liebsten mit auf den Sperrmüll gestellt hätte, wenn Meta nicht jeden Abend einen erwartungsvollen Blick darauf geworfen hätte. Auf einem Apfel kauend, stand er nun davor und lachte über sich selbst. Wenn eine leere Leinwand sein größtes Problem darstellte, dann war er wirklich ein glücklicher Mann.
    Er schlenderte zu dem kleinen Stapel mit CDs hinüber, die Jannik ihm in den Karton gestopft hatte, und legte eine davon in die Anlage. Nach einem Anflug von Hemmung drehte er den Lautstärkepegel hoch, bis die Bässe laut durch den halbleeren Raum hallten. In seinem Inneren hörte er ein zufriedenes Grummeln - da mochte wohl noch jemand gern laute Musik.Aus einer Laune heraus schnappte David sich ein Stück von der Papierrolle, auf der Meta ihre Farbexperimente verewigte, und holte sich einen Kugelschreiber. Er setzte sich auf das Sofa, sprang noch einmal auf, um sich den dicken Katalog mit den Impressionisten zu holen, und legte ihn als Unterlage auf seine angezogenen Oberschenkel. Eine Sekunde später setzte er die blaue Mine an, ohne eine Idee zu haben, was er eigentlich malen wollte.
    David war so vertieft in seine Arbeit, dass er Meta erst bemerkte, als sie im Zimmer stand und ihn beobachtete. »Wie kann dir bei diesem Krach auch nur eine läppische Inspiration zufliegen? Diese Musik klingt ausschließlich nach Chaos.« Sie hatte die Hände auf die Hüftknochen gestützt und den Kopf zurückgezogen - das tat sie immer, wenn sie den Eindruck erwecken wollte, etwas kühl zu betrachten, obwohl es sie in Wirklichkeit berührte.
    »Sag bloß, du magst die Kings of Leon nicht.« David schenkte ihr ein schiefes Lächeln. Da die Kritik an seinem Musikgeschmack jedoch nicht spurlos an ihm vorüberging, blieb er kurzerhand sitzen, anstatt Meta zur Begrüßung in die Arme zu nehmen.
    Trotz des kleinen Liebesentzugs gab Meta nicht nach. »Die Stimme des Sängers ging mir, ehrlich gesagt, schon im Hausflur auf die Nerven.Was malst du denn da?«
    »Sei nicht so neugierig«, erwiderte David, immer noch schmunzelnd. Dann konzentrierte er sich erneut auf das Papier, das mittlerweile mit unzähligen blauen Strichen bedeckt  war. Seine Stirn legte sich in Falten, als sehe er die Skizze zum ersten Mal in seinem Leben.
    Meta schnaufte, dann ging sie um das Sofa herum, um die Musik leiser zu stellen.Anschließend versuchte sie, einen Blick auf die Zeichnung zu werfen, doch David klappte im letzten Moment den Katalog samt Zeichnung weg, so dass sie auf seiner Brust lagen.
    »Angeber«, sagte Meta leise. Dann drängelte sie sich neben ihn aufs Sofa und fragte zwischen einigen Küssen, mit denen sie seine Wange bedeckte: »Zeigst du es mir?«
    Ein wenig unsicher hob David den Katalog an, und Meta holte behutsam das vom Kugelschreiber arg mitgenommene Papier hervor. Sie musste es ein Stück von sich weghalten, um zu erkennen, was es darstellte: das Skelett eines mehrstöckiges Gebäudes, aus unzähligen wilden Strichen zusammengesetzt, so dass es zu flimmern schien.Windschief, filigran. Ein Nachtbild.
    »Eigentlich ist es Mist.« David legte sich die Hand

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